Motivation durch Emotion? – Einfluss von positiv besetzten Arten bei bürgerwissenschaftlichen Arterfassungen
(Tina Bauer, Hannah Babel, Pia Bergknecht) Positiv besetzte Tier- oder Pflanzenarten können ein Motivationsfaktor zur Teilnahme an bürgerwissenschaftlichen Arterfassungsprojekten sein. Dies zeigt die Auswertung eines Projektes zur Suche nach Silberdistel (Carlina acaulis) und Golddistel (Carlina vulgaris) im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön. Sind die gesuchten Arten – wie beispielsweise die Silberdistel in der Rhön – regional bedeutsam, besonders geschützt oder sehr auffällig, kann dies dazu führen, dass die Arten nach der Teilnahme am Projekt bewusster und häufiger wahrgenommen werden.
Im Naturschutz werden in den letzten Jahren vermehrt bürgerwissenschaftliche Projekte (auch bekannt als „Citizen Science“) zur Erfassung von Arten durchgeführt, um neue Erkenntnisse über die Verbreitung von Tier- und Pflanzenarten zu gewinnen. Dabei ist allerdings noch wenig darüber bekannt, welche Auswirkung die Teilnahme an einem solchen Projekt auf die Bevölkerung hat (BRUCKERMANN et al. 2020) und welche Haltungen und Emotionen die Teilnahme beeinflussen. Durch qualitative Befragungen von Teilnehmenden mittels leitfadengestützter Interviews (sechs Personen) sowie quantitativer Befragungen mittels Online-Fragebögen (37 Personen) wurden am Beispiel des Projektes zur Suche nach Silberdistel und Golddistel in der Rhön Einstellungen gegenüber den gesuchten Arten untersucht. Insgesamt gab es im Projektzeitraum (Oktober/November 2021 bei der Silberdistel mit 173 Meldungen (mehr als 2.000 Einzelpflanzen) deutlich mehr Funde als bei der Golddistel mit 22 gemeldeten Standorten (300 Einzelpflanzen) Dies entspricht jedoch nicht den realen Verhältnissen, da die Golddistel in der Region mindestens ebenso häufig vertreten sein müsste.
Die Silberdistel (Carlina acaulis) – regional unter dem Namen „Rhöndistel“ bekannt – ist eine insgesamt sehr bekannte und positiv besetzte Pflanze in der Rhön, was die Auswertung der Befragungen bestätigte. Viele Teilnehmende beschrieben sie als Wahrzeichen oder Symbolpflanze der Rhön und verbinden sie mit einem Gefühl von Heimat oder Erinnerungen an ihre Kindheit. Die Golddistel (Carlina vulgaris) hingegen war den Befragten in der Rhön deutlich unbekannter. Im Gegensatz zur Silberdistel wurde sie als weniger schön und weniger besonders wahrgenommen und die Befragten waren sich unsicherer, ob es sich überhaupt um eine einheimische Pflanze handelt. Insgesamt waren sich die Teilnehmenden außerdem bei der Bestimmung der Silberdistel deutlich sicherer als bei der Bestimmung der Golddistel.
Die interviewten Teilnehmenden (sechs Personen) gaben außerdem an, nach der Teilnahme am Projekt in der Natur allgemein aufmerksamer zu sein und sie bewusster wahrzunehmen. Die meisten berichteten auch davon, nach dem Projekt bewusster auf vor allem auffällige Pflanzen zu achten. Waren die Teilnehmenden schon vor dem Projekt wissenschaftlich oder fotografisch aktiv beziehungsweise an der Artenvielfalt in der Rhön interessiert, zeigte sich keine Verhaltensänderung in Bezug auf die Aufmerksamkeit gegenüber der Natur oder den Pflanzen.
Die Motivation zur Teilnahme an einem bürgerwissenschaftlichen Erfassungsprojekt kann durch viele Faktoren geprägt sein und ist unter anderem von einer positiven Einstellung und einer persönlichen Betroffenheit abhängig (FREDERKING et al. 2016). Die positive Einstellung gegenüber einer bestimmten Art – wie beispielsweise der Silberdistel in der Rhön – kann ein Motivationsgrund für die Teilnahme an einem solchen Projekt sein. Im Vordergrund stehen aber vor allem auch ein allgemeines wissenschaftliches Interesse und der Forschergeist. Jedoch konnten wir feststellen, dass in unserem Projekt eine regional bekannte und positiv besetzte Art zu mehr Teilnehmenden und einer größeren Bekanntheit des Projektes führte. Es kann daher von Vorteil sein, für weniger beliebte aber für den Naturschutz relevante Arten eine zweite, beliebtere und regional bekanntere Art mit in ein Citizen Science-Projekt aufzunehmen, um die Aufmerksamkeit auf das Projekt zu lenken. Ebenfalls von Vorteil kann es sein, für solch eine weniger beliebte Art einen regionalen Bezug herzustellen, da auch dies die Motivation zur Teilnahme an einem Projekt erhöhen kann.
Literatur:
BRUCKERMANN, T., LORKE, J., RAFOLT, S. et al. (2020): Learning opportunities and outcomes in citizen science: A heuritic model für design and evaluation. – In: LEVRINI, O. & TASQUIER, G. (Hrsg.): Electronic Proceedings of the ESERA 2019 Conference – The Beauty and Pleasure of Understanding: Engaging with Contemporary Challenges Through Science Education: University of Bologna: 889-–898
FREDERKING, A., RICHTER, S. & SCHUMANN, K. (2016): Citizen Science auf dem Weg in den Wissenschaftsalltag.
Autorinnen:
Tina Bauer, UNESCO-Biosphärenreservat Rhön
tina.bauer@reg-ufr.bayern.de
Hannah Babel, M. Sc. Biodiversität und Umweltbildung, Pädagogische Hochschule Karlsruhe
hannahbabel@online.de
Pia Bergknecht, B. Eng. Umweltsicherung, Hochschule Weihenstephan-Triesdorf
pia.bergknecht@web.de
Tina Bauer, Hannah Babel, Pia Bergknecht (2023): Motivation durch Emotion? – Einfluss von positiv besetzten Arten bei bürgerwissenschaftlichen Arterfassungen. – ANLiegen Natur 45/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/silberdistel/.
Zum Download der Notizen in der Rubrik Mensch und Natur:
ANLiegen Natur 45/1 (2023): 4 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 1 MB).