Umfangreiche Studie bescheinigt Natura 2000 entscheidenden Beitrag zum Schutz europäischer Vögel und anderer Tiergruppen
(Monika Offenberger) Um den länderübergreifenden Schutz gefährdeter Tier- und Pflanzenarten zu gewährleisten, haben die Mitgliedsstaaten der EU insgesamt 18 Prozent ihrer Landfläche als Schutzgebiete im Rahmen des Natura 2000-Netzes ausgewiesen. Ein Drittel davon wurde nach der FFH-Richtlinie wegen ihrer wertvollen Habitate ausgewählt, zwei Drittel gemäß der europäischen Vogelschutzrichtlinie zu Vogelschutzgebieten (Special Areas for Conservation, kurz SPA) erklärt. Weitere Gebiete gelten nach international anerkannten Kriterien als bedeutend für den Arten- und Biotopschutz sowie speziell für den Schutz von Vögeln (Important Bird and Biodiversity Areas, kurz IBAs). Eine vergleichende Studie macht deutlich, dass das Natura 2000-Netzwerk mit seinen SPA einen Großteil der Flächen umfasst, die als IBAs gelten und damit 23 Prozent der Vorkommen von 435 europäischen Vogelarten sowie 25 Prozent der Vorkommen verschiedener Säuger, Reptilien und Amphibien sichert. Von einer zusätzlichen Ausweisung bislang nicht geschützter Gebiete insbesondere in Südeuropa könnte ein noch größerer Anteil der betroffenen Arten profitieren.
Die weltweite Ausweisung von Gebieten mit hoher Biodiversität und besonderer Bedeutung für Vögel geht auf eine Initiative von BirdLife International in den 1970er-Jahren zurück. Seither hat dieser globale Verbund aus 120 nationalen Partnerorganisationen mehr als 12.000 Gebiete von herausragender Bedeutung für Vögel identifiziert und als IBAs eingestuft. In Europa werden 20 Kriterien zur Eignung als IBAs herangezogen.
Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen bescheinigen dem bestehenden SPA-Netzwerk einen großen Beitrag zum Schutz bedrohter Vogelarten. Andere Studien kommen zu einer gegensätzlichen Einschätzung und beklagen, dass bestimmte europäische Vogelarten nicht ausreichend durch entsprechend ausgewiesene Gebiete geschützt sind. Ein Team von Wissenschaftlern der Universitäten in Helsinki, Cambridge und Rom unter Leitung der finnischen Geografin Aija Kukkala stellte die in der EU ausgewiesenen SPAs und IBAs in Bezug zur Verbreitung ausgewählter Tierarten.
Dazu erstellte das Team mit Hilfe von Experten bis auf 300 Meter aufgelöste Verbreitungskarten für 435 Vögel, von denen 181 im Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgeführt sind, sowie für 179 Säugetiere, 138 Reptilien und 85 Amphibien. Außerdem erfassten die Forscher insgesamt 3.307 IBAs und 4.876 SPAs, die zusammen 14,5 respektive 12,5 Prozent der Landfläche der EU bedecken. Dabei zeigten sich große Überlappungen: 66 Prozent der als IBAs eingestuften Flächen sind zugleich als SPAs ausgewiesen; 20,3 Prozent der IBAs befinden sich fast vollständig innerhalb von SPAs und nur 24,4 Prozent der IBAs liegen fast vollständig außerhalb von SPAs. Gleicht man die Verbreitungsgebiete der ausgewählten Vogelarten mit der Lage der Schutzgebiete ab, so zeigen sich kaum Unterschiede zwischen den Schutzgebieten: SPAs (IBAs) decken im Durchschnitt 23 Prozent (25 Prozent) der Verbreitungsgebiete einzelner Vogelarten und 25 Prozent (28 Prozent) der Verbreitungsgebiete aller anderen betrachteten Tierarten ab.
Damit belegt die Studie erstmals, dass sich das SPA-Netzwerk auf den Landflächen der EU in weiten Teilen mit den nach internationalen Kriterien ausgewählten IBAs deckt. Außerdem zeigt sie, dass von den IBAs, die ursprünglich wegen ihrer besonderen Bedeutung für Vögel ausgewählt wurden, darüber hinaus eine relativ große Anzahl von Säugetieren, Reptilien und Amphibien profitiert. Als weiteres Ergebnis halten die Autoren fest, dass die Verbreitungsgebiete als gefährdet eingestufter Tierarten durch SPAs besser abgedeckt sind als die nicht gefährdeter Spezies. Eine Erklärung für diesen Befund könnte die Tatsache liefern, dass gefährdete Arten in der Regel kleinere Verbreitungsgebiete haben, die eben deshalb zu einem größeren Anteil in Schutzgebieten liegen.
Im Strategischen Plan 2011–2020 für den Erhalt der Biodiversität haben sich die Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention 20 Kernziele (Aichi Biodiverstity Targets) gesetzt. Eines dieser Ziele besagt, dass bis 2020 mindestens 17 Prozent der Land- und Binnenwassergebiete, insbesondere Gebiete von besonderer Bedeutung für die biologische Vielfalt und für die Ökosystemleistungen, durch effektiv und gerecht gemanagte, ökologisch repräsentative und gut vernetzte Schutzgebietssysteme und andere wirksame gebietsbezogene Erhaltungsmaßnahmen geschützt und in die umgebende Landschaft integriert werden muss. Diesem Ziel könnten die EU-Staaten durch die Aufnahme der bislang nicht zu Schutzgebieten deklarierten IBAs in das Natura 2000-Netzwerk gerecht werden; dadurch würden sich die geschützten Gebiete von derzeit 12,5 auf 17,3 Prozent der Landfläche erhöhen. Darüber hinaus wollte das Team um Aija Kukkala ausloten, wie sich das Schutzgebiete-Netzwerk möglichst effektiv ausweiten ließe, um die Verbreitungsgebiete gefährdeter Tierarten noch besser abzudecken. Ihre Berechnungen zeigen: Mit der Vergrößerung des SPA-Netzes auf zusätzliche 4,5 Prozent der EU-Landfläche ließen sich 40,4 Prozent – also fast das Doppelte von derzeit 22,9 Prozent – der Verbreitungsgebiete gefährdeter Vogelarten abdecken und auch ein deutlich höherer Anteil der Verbreitungsgebiete von Säugern, Reptilien und Amphibien erfassen. Am besten geeignet sind nach Einschätzung der Autoren Gebiete im Süden der EU sowie an ihren nördlichen und östlichen Grenzen.
Mehr:
Kukkala, A. S. et al. (2016): Coverage of vertebrate species distributions by Important Bird and Biodiversity Areas and Special Protection Areas in the European Union. – Biological Conservation 202: 1–9; www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0006320716303135.
Der Strategische Plan 2011–2020 für den Erhalt der Biodiversität und die 20 Ziele zu seiner Umsetzung werden vom Bundesamt für Naturschutz online vorgestellt: www.bfn.de/0304_2010ziel.html.
Offenberger, M. (2018): Umfangreiche Studie bescheinigt Natura 2000 entscheidenden Beitrag zum Schutz europäischer Vögel und anderer Tiergruppen. – ANLiegen Natur 40/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/spa/.