Streitfall Bti: Die gängige Stechmückenbekämpfung ist nicht naturschutzkonform
(Monika Offenberger) Ein Biozid namens Bti wird weltweit zur biologischen Bekämpfung von Stechmücken eingesetzt, so auch am Oberrhein und am Chiemsee. Das Präparat wird bisher wegen seiner vorgeblich nur für wenige Arten toxischen Wirkung als ökologisch unbedenklich eingestuft. Umfangreiche Labor- und Feldstudien an der Universität Koblenz-Landau stellen die Umweltverträglichkeit von Bti infrage. Die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes schränkt den Einsatz des Insektizids in Schutzgebieten weiter ein.
Nach dem novellierten Bundesnaturschutzgesetz ist der Einsatz von Bioziden – und damit auch von Bti – in Naturschutzgebieten, Nationalparken, Nationalen Naturmonumenten, Kern- und Pflegezonen von Biosphärenreservaten, Naturdenkmälern sowie in gesetzlich geschützten Biotopen seit dem 1. März 2022 eingeschränkt (§ 30 a BNatSchG). Soll der Einsatz von Bti dennoch zugelassen werden, braucht es eine Ausnahmegenehmigung für einen begrenzten Zeitraum. Wie mit bestehenden Ausnahmegenehmigungen umzugehen ist, ist rechtlich umstritten.
Bti enthält ein toxisches Eiweiß, hergestellt von harmlosen Bodenbakterien namens Bacillus thuringiensis israelesensis. Weil es seine tödliche Wirkung bevorzugt in Fliegen- und Mückenlarven entfaltet, gilt es als besonders umweltverträglich; seit 2011 ist Bti durch die EU-Biozid-Richtlinie zur Anwendung in der Stechmückenbekämpfung zugelassen. Entlang des Oberrheins wird die regelmäßige, flächendeckende Ausbringung von Bti von der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage e.V., kurz KABS, betrieben und mit öffentlichen Mitteln finanziert. Auch am Chiemsee kommt das Präparat in Jahren mit besonders hohem Stechmückenaufkommen zum Einsatz. Obwohl diese Gewässer zu den artenreichsten Naturlandschaften Deutschlands zählen und zahlreiche Naturschutz-, FFH- und SPA-Gebiete beherbergen, wurden mögliche Effekte von Bti auf Nicht-Zielarten und auf das Ökosystem bislang nicht ausreichend erforscht. „Eine Schädigung anderer Organismen ist nach bisherigen Wissensstand auszuschließen“, heißt es dazu auf der Internetseite des Abwasser- und Umweltverbands Chiemsee, der Bti seit 1997 in Überschwemmungsgebieten einsetzt.
In einem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Forschungsprojekt hat eine Arbeitsgruppe der Universität Koblenz-Landau um Carsten Brühl in Labor- und Feldversuchen den Einfluss des Biozids auf verschiedene Wasserorganismen gemessen (ALLGEIER, BRÜHL & FRÖR 2019). Die Ergebnisse sind alarmierend: Demnach tötet Bti in der üblicherweise ausgebrachten Dosis nicht nur höchst effizient die Larven von Stechmücken. „Wir haben erstmals den EC50-Wert für Zuckmückenlarven bestimmt. Dabei wird gemessen, bei welcher Bti-Konzentration die Hälfte der exponierten Tiere sterben. Für das erste Larvenstadium liegt dieser Wert tausendfach höher als für ältere Stadien und damit zwei Größenordnungen über der Konzentration, die draußen am Oberrhein versprüht wird“, erklärt der habilitierte Ökologe. Der tödliche Effekt von Bti bestätigte sich auch in Versuchsteichen und natürlichen Biotopen: Je nach Studiendesign wurden die Zuckmückenlarven nach Bti-Behandlung um bis zu 70 Prozent dezimiert (ALLGEIER, KÄSTEL & BRÜHL 2019).
Zuckmücken, die nicht stechen und dem Menschen allenfalls lästig werden können, spielen in ungestörten Gewässern eine bedeutende Rolle als Nahrung für Libellenlarven, Amphibien und Fischbrut; die erwachsenen Mücken liefern Futter für Vögel und Fledermäuse. Ihre Dezimierung hat weitreichende Auswirkungen auf das Nahrungsnetz aquatischer und terrestrischer Ökosysteme: So waren im Naturschutzgebiet der Camargue schon nach drei Jahren regelmäßiger Bti-Behandlung deutliche Beeinträchtigungen der Mehlschwalben- und Libellenvorkommen zu beobachten (JAKOB & POULIN 2016). Wie das Landauer Team herausfand, zeigen Kaulquappen von Wasserfröschen nach experimentellem Kontakt mit Bti Anzeichen von oxidativem Stress. Molchlarven konnten bis zum Landgang weniger Gewicht zulegen als Artgenossen in unbehandelten Versuchsbecken; zudem wurden sie deutlich häufiger von Großlibellenlarven gefressen – vermutlich weil die Räuber so den Mangel an Zuckmückenlarven kompensierten (ALLGEIER, FRIEDRICH & BRÜHL 2019). „Diese Effekte können langfristige Folgen für die Populationsgröße von Amphibien haben“, warnt Carsten Brühl und plädiert für die Erprobung alternativer Methoden zur Stechmückenbekämpfung.
Im Rahmen des DBU-Projektes haben die Forschenden mit CO2 bestückte Fallen der Regensburger Firma BioGents getestet, die sich international zur Bekämpfung von krankheitsübertragenden Mücken bewährt haben (ENGLBRECHT et al. 2015). Wie eine Umfrage in betroffenen Kommunen am Oberrhein ergab, fühlen sich die Menschen vor allem im häuslichen Umfeld von Stechmücken belästigt – und nicht etwa in unmittelbarer Nähe zu deren Brutplätzen. „Also haben wir in einer Gemeinde versuchsweise CO2-Fallen in die Gärten gestellt. Tatsächlich konnten wir damit die Belästigungen durch Mücken reduzieren“, betont Carsten Brühl. Ebenso wichtig wie eine Bekämpfung der Lästlinge sei die Aufklärung der Bevölkerung, so der Wissenschaftler: „Wenn man den Leuten die ökologische Bedeutung der Mücken bewusst macht, akzeptieren sie auch eine naturschutzkonforme Methode der Bekämpfung und sind sogar bereit, Geld dafür auszugeben. Das zeigen sowohl unsere eigenen soziologischen Erhebungen, als auch die Metastudie zum Bti-Einsatz in Europa“, so Brühl (BRÜHL et al. 2020).
Mehr:
ALLGEIER, S., BRÜHL, C. A. & FRÖR, O. (2019): Entwicklung eines naturschutzkonformen Konzeptes zur Stechmückenbekämpfung am Oberrhein. – Abschlussbericht für die Deutsche Bundesstiftung Umwelt DBU: 85 Seiten; www.dbu.de/OPAC/ab/DBU-Abschlussbericht-AZ-32608_01-Hauptbericht.pdf.
ALLGEIER, S., KÄSTEL, A. & BRÜHL, C. A. (2019): Adverse effects of mosquito control using Bacillus thuringiensis var. israelensis: Reduced chironomid abundances in meso-cosm, semi-field and field studies. – Ecotoxicology and Environmental Safety 169: 786–
796; www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0147651318311862.
ALLGEIER, S., FRIEDRICH, A. & BRÜHL, C. A. (2019): Mosquito control based on Bacillus thuringiensis israelensis (Bti) interrupts artificial wetland food chains. – Science of the Total Environment, Vol. 724; www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0048969719324118?via%3Dihub.
BRÜHL, C. A. et al. (2020): Environmental and socioeconomic effects of mosquito control in Europe using the biocide Bacillus thuringiensis subsp. Israelensis (Bti). – Science of the Total Environment, Vol. 724; DOI.org/10.1016/j.scitotenv.2020.137800; www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0048969720313127.
ENGLBRECHT, C. et al. (2015): Evaluation of BG-Sentinel Trap as a Management Tool to Reduce Aedes albopictus Nuisance in an Urban Environment in Italy. – Journal of the American Mosquito Control Association, Vol. 31, no. 1: 16–25; https://bioone.org/journals/journal-of-the-american-mosquito-control-association/volume-31/issue-1/14-6444.1/Evaluation-of-BG-Sentinel-Trap-as-a-Management-Tool-to/10.2987/14-6444.1.short.
JAKOB, C. & POULIN, B. (2016): Indirect effects of mosquito control using Bti on dragonflies and damselflies (Odonata) in the Camargue. – Insect Conservation and Diversity 9: 161–169; https://doi.org/10.1111/icad.12155.
Monika Offenberger (2022): Streitfall Bti: Die gängige Stechmückenbekämpfung ist nicht naturschutzkonform. – ANLiegen Natur 44/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/stechmueckenbekaempfung/.
Zum Download der Notizen in der Rubrik Artenschutz:
ANLiegen Natur 44/1 (2022): 6 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,5 MB).