Der Überschuss des reaktiven Stickstoffs in Deutschland muss reduziert werden
(Andreas Zehm) Zwei Studien beleuchten den Status Quo und die Möglichkeiten zur Reduktion des reaktiven Stickstoffs (Stickstoffoxide, Lachgas, Ammoniak), einem der zentralen Umweltprobleme der Welt. Vor allem in der modernen Landwirtschaft besteht deutlicher Reduktionsbedarf, doch auch ein bewusster individueller Konsum kann wesentlich zur Verminderung der Stickstoffflüsse beitragen. Insgesamt sind die hier zusammenfassend dargestellten Ansätze zahlreich, betreffen unterschiedlichste Akteure und sind auf allen Komplexitätsstufen verortet.
Im Gegensatz zu molekularem Stickstoff sind die verschiedenen Formen reaktiven Stickstoffs (Stickstoffoxide, Lachgas, Ammoniak) eins der drängendsten Umweltprobleme und wesentlich mitverantwortlich für den Rückgang der biologischen Vielfalt, den Klimawandel und gesundheitliche Probleme. Industrie, Konsum, Verkehr und inzwischen vor allem die Landwirtschaft sind überwiegende Quellen der Problemstoffe, so zwei nahezu zeitgleich erschienene Veröffentlichungen des Umweltbundesamtes (UBA) und des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU).
Insgesamt gelangen in Deutschland jährlich etwa 4,2 Millionen Tonnen reaktiven Stickstoffs in die Umwelt, umgerechnet etwa 50 kg pro Person. Nur rund 6 kg davon werden in Form von Lebensmitteln konsumiert, der Rest ist in Produkten gebunden oder entweicht ungenutzt in die Umwelt. Dabei sind die Überschüsse europaweit überdurchschnittlich, wobei sie besonders hoch in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bayern sind, so die UBA-Daten.
Während die Emissionen aus Industrie, Energiewirtschaft, Verkehr und Abwasserbehandlung deutlich gemindert werden konnten, erlangt die Landwirtschaft eine immer größere Bedeutung an den deutschen Stickstoffemissionen, mittlerweile mehr als 60 %. Um eine wesentliche Verbesserung für die Umwelt einzuleiten, sollten daher vor allem die in der Landwirtschaft vorhandenen und relativ kostengünstigen Maßnahmen zur Reduzierung des Stickstoff-Überschusses genutzt werden, wobei eine überarbeitete Düngeverordnung ein wesentliches Instrument ist, wenn auch nicht das einzige. So zeigt das Beispiel Dänemark, dass der Vollzug verbindlicher Maßnahmen die Stickstoffproblematik deutlich entspannen kann ohne die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft wesentlich zu beeinflussen. So gingen in Dänemark seit 1990 die Ammoniak-Emissionen und der Stickstoffüberschuss um jeweils etwa 40 % zurück, was inzwischen auch an rückläufigen Nitratauswaschungen und Stickstoffdepositionen zu erkennen ist.
Als zentrale Ansätze, um die Menge reaktiven Stickstoffs zu reduzieren, werden in beiden Veröffentlichungen genannt:
- Es sollte eine nationale Stickstoffstrategie erarbeitet werden, um bestehende Maßnahmen und Regelungen zur Stickstoffminderung zusammenzuführen und den Handlungsbedarf zu konkretisieren.
- Die nationalen Emissions-Höchstmengen für Stickstoffoxide und für Ammoniak sollten dringend verschärft werden.
- Durch eine Novellierung des EEG sollte die Stromerzeugung flexibilisiert und die Stickstoffbelastung durch den Energiepflanzen-Anbau verringert werden.
- Die Emissionen des Lkw- und Schiffsverkehrs sollten gesenkt werden.
- Die fossile Stromerzeugung durch Kohle sollte reduziert werden.
- Die zulässigen Höchstmengen für die Ausbringung von Wirtschaftsdünger müssen abgesenkt werden, um dessen effiziente Ausnutzung zu gewährleisten.
- Ausgebrachter Wirtschaftsdünger sollte auf unbestellten Flächen innerhalb einer Stunde nach Ausbringung eingearbeitet werden, um atmosphärische Verluste zu verringern.
- Emissionsarme Ausbringungstechniken sollten für spezifische Anwendungen verpflichtend gemacht werden
- Auf stark geneigten Flächen ist das Abschwemmen in oberirdische Gewässer und auf Nachbarflächen besser zu vermeiden.
- Das Ausbringen von Düngemitteln sollte innerhalb eines Abstandes von 5 m zu oberirdischen Gewässern (zumindest der 1. und 2. Ordnung) künftig vollständig verboten werden.
- Die zulässigen Flächenbilanz-Überschüsse des Nährstoffvergleichs nach Düngeverordnung müssen gesenkt werden.
- Die Bilanzierungsvorgaben für die Landwirtschaft sollten um eine Hoftor-Bilanzierung ergänzt werden.
- Verstöße gegen die Vorgaben der Düngeverordnung sollten zukünftig zu einer Beratungspflicht führen und – bei wiederholten deutlichen Verstößen – als bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden.
- Export von nicht mehr verwertbaren Güllemengen in Gebieten mit Wirtschaftsdüngermangel, um lokale Überschüsse zu reduzieren und gleichzeitig Mineraldünger einzusparen.
- Die Verwendung von Kraftfutter statt Grünlandaufwuchs sollte reduziert werden.
- Einträge in gegenüber Stickstoffeinträgen besonders empfindliche „Hotspot-Regionen“ durch regionale und lokale Ansätze reduzieren: Reduktion durch eingeschränkte landwirtschaftliche Düngung in Schutzgebieten, Pufferzonen um Naturschutzgebieten mit Bewirtschaftungsauflagen und Agrarumweltmaßnahmen.
- Es sollte eine Abgabe auf Stickstoff-Überschüsse eingeführt werden.
- Die Anforderungen an Tierhaltungsanlagen sollten verschärft werden, um die Belastung von Ökosystemen mit Ammoniak zu verringern.
Zusätzlich kann jeder durch einen reduzierten Konsum tierischer Eiweiße oder durch Vermeidung von Lebensmittelabfällen dazu beitragen, die Stickstoffeinsätze zu vermindern. Ein Indikator für die persönliche Stickstoffbilanz ist der „Stickstoff-Fußabdruck“, der angibt, welche Mengen reaktiven Stickstoffs durch den persönlichen Lebensstil freigesetzt werden. Durchschnittlich liegt der Fußabdruck bei etwa 24 kg Stickstoff pro Person und Jahr, wobei 80 % auf die Ernährung zurückgehen. Darunter spielt wiederum der gesundheitsschädlich hohe Fleischkonsum die wesentliche Rolle. Ein zentraler individueller Ansatzpunkt zur Reduktion des Stickstoffüberschusses ist damit bereits ab morgen leicht umsetzbar. Für jeden!
Speziell sei darauf hingewiesen, dass Geupel & Frommer (2014) zahlreiche Daten zum Stickstofffluss zu entnehmen sind, besonders auch dem Anhang 1.
Mehr:
Geupel, M. & Frommer, J. (2014): Reaktiver Stickstoff in Deutschland – Ursachen, Wirkungen, Maßnahmen. – Broschüre Umweltbundesamt: 56 Seiten; www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/reaktiver_stickstoff_in_deutschland.pdf.
Sachverständigenrat für Umweltfragen (2015): Stickstoff: Lösungsstrategien für ein drängendes Umweltproblem. – Gutachten Kurzfassung: 12 Seiten; www.umweltrat.de.
Zitiervorschlag: Zehm, A. (2015): Überschuss des reaktiven Stickstoffs in Deutschland muss reduziert werden. – ANLiegen Natur 37/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/stickstoff/.