European Green City 2023 Tallinn: Bestäuber-Highway in der estnischen Hauptstadt
(Wolfram Adelmann) Tallinn, die Landeshauptstadt von Estland, ist im Aufschwung, das erhöht den Flächendruck und die Herausforderung, die bislang grüne Stadt auch als solche zu erhalten. Ein besonderes Projekt erregt europaweit Aufsehen: Der Pollinator-Highway – ein grünes Band für Bestäuber als multifunktionaler Raum inmitten einer aufstrebenden Metropole.
Die Esten bezeichnen sich selbst als Nordeuropäer. Die technikaffine Lebensweise der Esten hat das Land in kürzester Zeit zu einem wirtschaftlichen Motor der baltischen Region gemacht – die digitale Welt schaut nach Tallinn. Estland hat eine der schnellsten Internetabdeckungen im europäischen Vergleich und zieht Hightech-Firmen aus der ganzen Welt an. In 2021 zählt die Hauptstadt zirka 445.000 Einwohner, ein Drittel der Gesamtbevölkerung des kleinen Estlands. Hinzu kommt, dass Tallinn einen erheblichen Bevölkerungszuwachs verzeichnet und damit der Flächendruck stark ansteigt (URL 1).
Ein spannendes Projekt, das versucht, Naturschutz und Mensch in Tallinn eng zu verbinden, ist die Bienen-Autobahn (Pollinator-Highway; URL 2):
Ausgangspunkt ist eine Trasse mitten durch die Stadt, die aktuell noch von Hochspannungsmasten geprägt ist. Diese Leitungen werden nicht mehr benötigt und nun teilweise zurückgebaut. Trotz des zunehmenden Flächendrucks soll die Trasse von Bebauung freigehalten werden. Entlang dieser Trasse wird ein Grünzug-Konzept umgesetzt, bestehend aus drei Bausteinen: Erstens werden städtische Gärten für die Nahrungsmittelproduktion (urban gardening) geschaffen, zweitens bestäuberfreundliche Wiesen entwickelt und drittens Hochspannungsmasten und Gebäude der ehemaligen Elektro-Infrastruktur umgestaltet.
Neue Stadtgärten in Tallinn
Da heute viele Tallinner keinen Zugriff mehr auf einen eigenen Garten haben, hat die Stadt ein ehrgeiziges Ziel: Jede Person in Tallinn soll die Möglichkeit erhalten, eigene Nahrung zu produzieren. Hierfür wurden in jedem Stadtbezirk Gemeinschaftsgärten angelegt. Einer davon liegt an dem Bienen-Highway und wird als erster Schrebergarten angelegt. Die Bewohner mieten 25 m2 Grund für einen symbolischen Preis. Das Gärtnern erfolgt nach biologischen Prinzipien, auch wenn Zierpflanzen erlaubt sind. Klar verboten: Pestizide. Der Schrebergarten wird durch einen Gemeinschafts-Pavillon mit Sommerküche abgerundet.
Blumenwiesen
Die Stadt Tallinn ist pestizidfrei auf ihren öffentlichen Grünflächen, das ist bemerkenswert, da auch kulturhistorische Gärten im Schlosspark und der Grüngürtel um die historische Altstadt dazuzählen. Großes Ziel des Bestäuber-Highways ist es, das Nahrungs- und Lebensraumangebot für Honigbienen, Wildbienen und andere Bestäuber zu verbessern.
Doch neben der naturschutzfachlichen Aufwertung, braucht es auch Überzeugungsarbeit, um für den Mehrwert artenreicher Grünflächen in der Stadt zu werben. Das Stockholm Environment Institute führte 2021 eine Studie zur grünen Infrastruktur in Tallinn durch. Diese ergab, dass die Meinung zu den Grünflächen sehr stark auseinanderging. Einige empfanden eine naturnahe, lebendige Blumenwiese in der Stadt schön, viele eher nicht. Die geringe Meinung über Wildwiesen ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass die estnische Flora nicht bunt, sondern auf den ersten Blick eher unauffällig bescheiden ist. Um die unscheinbaren, aber ökologisch wertvollen Grünflächen zu ergänzen, legte man zusätzlich als optischen Rahmen „Bienen-Rabatte“ an, teils im Stil des englischen Gartenbaus: Mit bunt und vielfältig blühenden, teils heimischen Arten. Diese Bienenrabatte dienen vor allem als gestalterisches Element (vergleiche URL 3). Im Zentrum dieser optischen Rahmen stehen jedoch die ökologisch wertvollen Flächen.
Die Wiederverwendung von Hochspannungsmasten und Gebäude
Die Masten aus den 60er-Jahren sollten zunächst verschwinden, bis die Idee aufkam, diese innovativ zu nutzen. Die estnische Akademie entwickelte spannende Ansätze zur Nachnutzung: als Lichtträger, Gewächshäuser, Klettertürme oder rankenbewachsene Aussichtsplattformen. Der Raum sollte künstlerisch vielfältiger, vor allem aber nutzbar werden.
Die Gebäude wurden, natürlich mit viel Hightech, durch eine „Augmented-Reality-Kunstgalerie“ (übersetzt „eine die Wirklichkeit erweiternde Kunstgalerie“) aufgewertet. Dazu wurden Gebäudewände mit vier thematischen Wandbildern bemalt: „Nachhaltige Mobilität“, „Neue Welt für Garagen“, „Aktivitäten im öffentlichen Bereich“ und „Biodiversität“. Wenn Besucher ihre Handykamera auf die Gemälde richten, wird die Augmented-Reality-Sicht aktiviert, die es ihnen ermöglicht, den zukünftig geplanten Stadtraum als Szenario zu erleben. Sozusagen eine Vision in Echtzeit.
Weitere spannende Informationen zum Projekt Pollinator-Highway finden Sie auf der Website – selbstverständlich auch auf Englisch, wie es sich für eine moderne Nation gehört:
www.putukavail.ee/?lang=en.
In 2023 wird Tallinn übrigens den Titel „European Green Capital“ tragen, ein Titel, der mit 600.000 Euro Förderung für grüne Projekte einhergeht (URL 4). Wir dürfen gespannt sein!
URL 1: www.tallinn.ee/eng/Uudis-Yearbook-Tallinn-in-Figures-2021-reveals-increase-in-population.
URL 2: www.sei.org/projects-and-tools/projects/b-green_eng/.
URL 3: www.tallinn.ee/eng/greencapital/Uudis-From-Grey-to-Green-The-Pollinator-Highway-of-Tallinn-as-an-Innovative-Concept-for-Bringing-Nature-Back-to-the-City.
URL 4: www.smartcitiesworld.net/news/news/tallinn-named-european-green-capital-2023-6934.
Wolfram Adelmann (2022): European Green City 2023 Tallinn: Bestäuber-Highway in der estnischen Hauptstadt. – ANLiegen Natur 44/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/tallinn-bienenhighway/.
Zum Download der Notizen in der Rubrik Stadtökologie:
ANLiegen Natur 44/1 (2022): 10 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,9 MB).
Sehr geehrte Damen und Herren
Können Sie mir behilflich sein mit einer Adresse bzw
Herstellung eines Kontaktes zu einer Naturschutzbehörde in Tallinn?
Es geht um den Gebaudebrueterschutz bei Baumaßnahmen
Als Besucherin der Stadt fällt mir auf, das hier in großer Zahl durch Restauration an Dächern und Fassaden
Nistplätze wegsaniert wurden ohne Ersatz zu schaffen.Das ist ein Verstoß gegen die EU Vogelschutz Richtlinie .Es besteht dringender Handlungsbedarf da derzeit wieder eingerüstet wird und weitere Nistplätze von Mauerseglern und Haussperlinge verschlossen werden .Als Grüne Metropole Europas darf nicht der Gebaudebrueterschutz vergessen und gegen EU Richtlinien verstoßen werden.Wir haben ein großes Vogelsterben global.
Sehr geehrte Frau Laich,
Vielen Dank für Ihre aufmerksame Beobachtung und Fürsorge!
In Estland ist die Kommunikation auf Englisch weitgehend problemlos: Bitte wenden Sie sich an das Department Urban Environment – die Stadt Tallinn hat auf der folgenden Homepage die Kontakte veröffentlicht:
https://www.tallinn.ee/en/phonebook#tallinn-urban-environment-and-public-wor
Die generelle Kontaktaufnahme zur Stadt ist auch über folgende Adresse möglich – man wird Ihr Anliegen sicher weiterleiten:
Contacts of Tallinn City
Find city officials by name or through administration structure in phonebook.
Information phone: 640 4141 (main service bureau, Vabaduse väljak 7) Information e-mail: lvpost@tallinnlv.ee
Address: Vabaduse väljak 7, 15199 Tallinn Tallinn City Office registry code: 75014920
Mit freundlichen Grüßen
Ihr ANL Team