UBA-Studie: Regelungen zur Anwendung von Pestiziden in Schutzgebieten unzureichend
(Paul-Bastian Nagel) In einer vom Umweltbundesamt beauftragten Studie zur Anwendung von Pestiziden in Schutzgebieten in ausgewählten Bundesländern kommen die Autoren zum Ergebnis, dass die Anwendungsregelungen regelmäßig nicht ausreichen, um die dortigen wertvollen Naturflächen und ihr Arteninventar zu schützen.
Das interdisziplinäre Autorenteam, mit Journalistin Heidi Mühlenberg, Jurist Stefan Möckel, Biologin Cornelia Sattler und dem international anerkannten Insektenexperten Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum (UFZ, Halle), untersuchte exemplarisch in drei Bundesländern die Regelungen zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM) und Bioziden in Schutzgebieten. In Baden-Württemberg wurden die Landesgesetzgebung und in Sachsen und Niedersachen zusätzlich über 1.700 Schutzgebietsverordnungen ausgewertet. Die Regelungen in Bayern wurden leider nicht betrachtet.
Im Fokus der Auswertung standen Nationalparke, Biosphärenreservate, Naturschutzgebiete und Natura 2000-Gebiete. Die Regelungen in den Schutzgebieten wurden in fünf Stufen kategorisiert:
- Erlaubt nach Maßgabe des Bundesrechts
- Erlaubt mit Anzeigepflicht, Untersagung im Einzelfall
- Erlaubt mit Genehmigungsvorbehalt
- Verboten mit Ausnahmetatbeständen
- Generell verboten
In Sachsen können PSM und Biozide auf land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen innerhalb der Schutzgebiete nach Bundesrecht eingesetzt werden. Weitergehende Auflagen und Einschränkungen gelten nur in wenigen Fällen. So gibt es nur für zwei von 215 Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Gebieten einen Genehmigungsvorbehalt für den Einsatz von PSM. Der Freistaat Sachsen setzt bei der Umsetzung der Natura 2000-Ziele ähnlich wie Bayern auf das Prinzip der Freiwilligkeit. Lediglich in fünf Naturschutzgebieten und der Kernzone eines Biosphärenreservats mit einem geringen Anteil an land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen, ist der Einsatz von PSM und Bioziden verboten.
Auch in Niedersachsen sind in 96 Prozent der untersuchten Schutzgebiete Pflanzenschutzmittel und Biozid-Produkte zugelassen, allerdings häufiger mit strengeren Auflagen und Einschränkungen als es das Bundesrecht vorsieht. Das liegt auch daran, dass beispielsweise die Schutzgebietsverordnungen für die Natura 2000-Gebiete in Niedersachsen ausführlicher und standortspezifischer gestaltet sind und häufiger auf das jeweilige Schutzziel Bezug nehmen. Von 178 Natura 2000-Gebieten mit anteiliger Ackernutzung, ist in 139 Fällen der Einsatz von PSM schon nach Bundesrecht erlaubt. In neun Fällen mit Anzeigepflicht beziehungsweise Genehmigungsvorbehalt und in sieben Natura 2000-Gebieten gilt ein Verbot mit konkret definierten Ausnahmetatbeständen. Für Wiesen- und Weideflächen gibt es deutlich mehr Einschränkungen für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln als in Sachsen. Häufig ist die Zustimmung der unteren Naturschutzbehörde oder des zuständigen Pflanzenschutzamts für den Einsatz erforderlich, beziehungsweise es gibt eine Anzeigepflicht vor dem Einsatz.
In Baden-Württemberg ist es seit 2015 verboten, außerhalb von intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen in Naturschutzgebieten, in Kern- und Pflegezonen von Biosphärengebieten, in gesetzlich geschützten Biotopen und bei Naturdenkmalen, Pflanzenschutzmittel und Biozide einzusetzen. Ab 01.01.2022 wird das Verbot ausgeweitet: Dann ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Bioziden in Naturschutzgebieten auf der ganzen Fläche verboten.
Die Bewertung der Autoren ist eindeutig: „Während in Baden-Württemberg das Bemühen erkennbar ist, im Landesrecht den Biozid- und Pflanzenschutzmitteleinsatz zu beschränken, unterscheidet sich das Schutzniveau in Sachsen und mit Abstufung in Niedersachsen in Bezug auf den Pflanzenschutzmittel- und Biozideinsatz innerhalb der geschützten Flächen wenig von dem außerhalb liegender Flächen.“
Demnach zeigt die Studie, dass die Naturflächen und ihr Arteninventar in den Schutzgebieten nur unzureichend vor Beeinträchtigungen durch Chemikalien geschützt sind. Besonders Natura 2000-Gebiete seien durch den aktuell zulässigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Bioziden bedroht. Bei den Verordnungstexten älterer Schutzgebiete wurde darüber hinaus festgestellt, dass formulierte Verbote zwar den Einsatz von PSM und Bioziden umfassen könnten, die historisch bedingten begrifflichen Unschärfen aber zu einer Rechtsunsicherheit führten. Die Autoren empfehlen daher, die Verordnungstexte zu überarbeiten und zu schärfen.
Empfehlungen der Autoren für bundesrechtliche Regelungen im Bundesnaturschutzgesetz:
- In Naturschutzgebieten sollte ein Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Biozid-Produkten grundsätzlich untersagt sein.
- In Nationalparks und Biosphärenreservaten sollten für die Kernzonen Komplettverbote normiert und die Pflegezonen wie Naturschutzgebiete gehandhabt werden.
- Bei Natura 2000-Gebieten ist ein Genehmigungsvorbehalt für den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Biozid-Produkten vorzusehen.
Bei der Interpretation der Studienergebnisse ist zu betonen, dass nicht der tatsächliche Einsatz der Mittel untersucht wurde, sondern die zulässigen Einsatzmöglichkeiten nach Bundes- und Landesrecht sowie den jeweiligen Schutzgebietsverordnungen. Was also tatsächlich auf den land- und forstwirtschaftlichen Flächen innerhalb der untersuchten Schutzgebiete ausgebracht wird, wurde genauso wenig betrachtet, wie Verdriftungen, diffuse Einträge oder Vorbelastungen.
Mehr:
Umweltbundesamt (2021): Regelungen zur Anwendung von Pestiziden in Schutzgebieten. Abschlussbericht von Dr. rer. pol. Heidi Mühlenberg, Hamburg, Dr. jur. Stefan Möckel, Halle/Saale, Dr. rer. nat. Cornelia Sattler, Halle/Saale. Mit beratender Unterstützung von Prof. Dr. Josef Settele, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH, Halle; Projektnummer 145184 FB000557; online unter:
www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2021-05-17_texte_49-2021_pestizide_schutzgebiete.pdf.
Paul-Bastian Nagel (2021): UBA-Studie: Regelungen zur Anwendung von Pestiziden in Schutzgebieten unzureichend. – ANLiegen Natur 43/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/uba-studie/.
Zum Download der Notizen in der Rubrik:
ANLiegen Natur 43/2 (2021): 8 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,6 MB).