Biodiversität trotz Urbanisierung
(Leonie Freilinger) Gebäude schießen aus dem Boden, Straßen werden asphaltiert, Tiefgaragen gegraben – weltweit kann die fortschreitende Urbanisierung beobachtet werden. Laut Hochrechnungen der Vereinten Nationen werden bereits 2050 knapp 70 % der Weltbevölkerung in Städten leben (UN, 2008). Diese müssen naturgemäß weiter wachsen. Aus naturschutzfachlicher Sicht wird Verstädterung häufig als eine der größten Gefahren für die Biodiversität angesehen. Die tatsächliche Tragweite ist jedoch noch wenig untersucht. So finden sich derzeit widersprüchliche Hypothesen über die Folgen der Urbanisierung für die Artenvielfalt.
Welche Faktoren urbane Biodiversität beeinflussen, wurde in einer Metaanalyse (BENINDE et al. 2015) untersucht, die die Daten von 87 Studien in 75 Städten weltweit zusammenfasste. Ziel war es herauszufinden, mit welchen Mitteln urbane Biodiversität gemessen und gefördert werden kann. Dabei ging hervor, dass die häufig angewandte Methode des Stadt-Umland-Gradienten zur Messung der Biodiversität nicht sehr sinnvoll erscheint. Hohe Biodiversität korreliert weniger mit der Entfernung zum Stadtkern als mit dem Vorkommen und der Größe von artenreichen Flächen, welche meist heterogen über das Stadtgebiet verteilt sind. Das können zum Beispiel Parkanlagen, Kleingärten, begrünte Dächer und Innenhöfe oder auch Brachen sein. Auf diesen Flächen wurden bis zu 50 % der in der gesamten Stadt vorkommenden Pflanzenarten gefunden (DYDERSKI et al. 2016).
Einen besonders starken Effekt haben auch Korridore, wie etwa Grünstreifen entlang von Straßen, welche für die Verbindung zwischen Flächen sorgen und ihrerseits wichtige Habitate sind. Die Entfernung zwischen den Flächen scheint hingegen nur eine geringe Rolle zu spielen. Biotische Faktoren, welche sich als besonders förderlich für urbane Diversität erwiesen, waren Vegetationsdichte und -struktur. Ein hoher Grad der Begrünung und ein strukturreicher Aufbau der Vegetation scheinen besonders der Artenvielfalt von Insekten und Vögeln dienlich zu sein (BENINDE et al. 2015).
Noch vor allen anderen Faktoren ist die Flächengröße entscheidend für die Artenvielfalt in urbanen Gebieten, denn mit ihr steigt die Anzahl an Arten, welche sich erst ab einer bestimmten Lebensraumgröße etablieren können. Die Vergrößerung von naturnahen Flächen ist in der Praxis jedoch schwer durchführbar – zumal Platz als limitierender Faktor des städtischen Naturschutzmanagements vorherrscht. Die Verbesserung der biotischen Faktoren, insbesondere auch an potenziellen Vernetzungskorridoren, wäre daher ein Ansatz zur Erhaltung der Biodiversität in Städten. Erhöhung der Bepflanzungsdichte auf kleinem Raum und das Einbringen unterschiedlicher Vegetationsstrukturen kann also bereits beträchtlich zum Artenschutz beitragen.
Es gilt zu beachten, dass viele Faktoren, wie die Größe einer Stadt oder die Habitatvielfalt, nicht Teil dieser Metaanalyse waren. Eine Studie von CEPLOVA et al. (2016) zeigt jedoch, dass der Artenreichtum von Pflanzen weniger von der Siedlungsgröße abhängt, als von dem Vorhandensein verschiedener Habitate, wie Gärten oder brachliegenden Flächen. Ein Umstand, der sich sowohl für Neophyten als auch einheimische Pflanzen nachweisen ließ. Autochtone Arten werden in Großstädten also nicht zwangsläufig von allochtonen auskonkurriert; beide können von den Umweltbedingungen im urbanen Raum profitieren und Nischen erfolgreich besetzen.
Auch wenn diese Studien dem Erhalt der Artenvielfalt trotz Urbanisierung durchaus Erfolg zusprechen, lassen sich Faktoren wie längerfristige Populationsdynamiken oder genetische Variabilität schwer berechnen. Trotzdem liefern sie einen Anhaltspunkt, wie Städtebau zukünftig in Hinblick auf Artenschutz adaptiert werden kann. Schließlich geht es nicht nur um altruistischen Naturschutz, vielmehr liefert eine hohe Biodiversität auch ein hohes Potential an Ökosystemdienstleistungen, welche Gesundheit und Lebensstandard in städtischen Bereichen enorm fördern können.
Mehr:
BENINDE, J. et al. (2015): Biodiversity in cities needs space: a meta-analysis of factors determining intra-urban biodiversity variation. – Ecology Letters 18: 581–592.
DYDERSKI, M. K. et al. (2016): Ecological lands for conservation of vascular plant diversity in the urban environment. – Urban Ecosystems doi: 10.1007/s11252-016-0625-2.
CEPLOVA, N. et al. (2016): Effects of settlement size, urban heat island and habitat type on urban plant biodiversity. – Landscape and Urban Planning 159: 15–22.
UNITED NATIONS (2012): World Urbanization Prospects: The 2011 Revision. – United Nations, Department of Economic and Social Affairs, New York.
Zitiervorschlag: Freilinger, L. (2017): Biodiversität trotz Urbanisierung. – ANLiegen Natur 39/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/urbanisierung_biodiv/.