Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Verschlechterungsverbot der EU-Wasserrahmenrichtlinie gilt projektbezogen
(PBN) Der Europäische Gerichtshof konkretisiert die Verpflichtungen zum Verschlechterungsverbot nach der Wasserrahmenrichtlinie anlässlich der geplanten Weservertiefung. Die Wasserrahmenrichtlinie zielt auf einen guten ökologischen und chemischen Zustand von Flüssen und Seen. Dieser gute Zustand der Oberflächengewässer soll 15 Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie und damit mit dem Erscheinen dieser ANLiegen Natur-Ausgabe europaweit erreicht sein. Doch trotz Bewirtschaftungsplänen und Maßnahmenprogrammen sind wir auch in Bayern noch weit von diesem Ziel entfernt. Denn für viele Oberflächengewässer ist es bereits eine Herausforderung, die Verschlechterung des aktuellen Zustandes zu verhindern. Ursächlich hierfür sind insbesondere diffuse Stoffeinträge, aber auch neue Querbauwerke oder wasserwirtschaftlich begründete Eingriffe in die Gewässermorphologie. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nun einige Fragen des Bundesverwaltungsgerichts anlässlich der geplanten Weservertiefung beantwortet und klargestellt, dass das in der Wasserrahmenrichtlinie angelegte Verschlechterungsverbot auch projektbezogen zu beachten ist (EuGH, Urteil vom 1. Juli 2014 – C-461/13).
Hintergrund der Entscheidung ist der geplante Ausbau der Weser, um auch die Unterweser bis zu den Binnenhäfen Bremen und Brake für größere Containerschiffe schiffbar zu machen. Die entsprechende Planfeststellung wurde beklagt und dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Die Wasserstraßenverwaltung erkannte zwar die negativen Auswirkungen der Maßnahme, konnte aber keine Verschlechterung des Gewässerzustandes im Sinne der Richtlinie feststellen, da es nicht zu einer Veränderung der in Anhang V der Richtlinie definierten Zustandsklassen komme. Ansonsten seien – sofern von einer Verschlechterung ausgegangen wird – aus Gründen des übergeordneten öffentlichen Interesses die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 31 Absatz 2 Wasserhaushaltsgesetz erfüllt.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat sich anlässlich der grundsätzlichen Bedeutung des Verfahrens mit einem Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gewandt und sinngemäß folgende Fragen gestellt (ausführlich dargestellt in Rolfsen 2015):
- Gilt das Verschlechterungsverbot für Oberflächengewässer vorhabenbezogen oder handelt es sich um eine reine Zielvorgabe für die Bewirtschaftungsplanung?
- Gilt das Verbesserungsgebot für Oberflächengewässer vorhabenbezogen – darf also ein Projekt die Zielerreichung „guter Zustand“ gefährden – oder handelt es sich um eine reine Zielvorgabe für die Bewirtschaftungsplanung?
- Kann eine Verschlechterung des Zustandes nur bei einer Klassenabstufung nach Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) Anhang V festgestellt werden?
Der EuGH beantwortet die ersten beiden Fragen des BVerwG in seinem Urteil vom 1. Juli 2015, Randnummer 50 eindeutig: Eine Genehmigung für ein Projekt ist zu untersagen, wenn sich der Zustand des Wasserkörpers projektbedingt verschlechtert oder die Erreichung des guten Zustandes gefährdet wird (Ormond 2015). Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch, dass der EuGH die Möglichkeit einer Ausnahme nach Artikel 4 Absatz 7 WRRL ausdrücklich erwähnt. Demnach verstoßen Mitgliedsstaaten nicht gegen das sogenannte Verbesserungsgebot oder Verschlechterungsverbot, wenn die Änderung der physischen Eigenschaften eines Oberflächen-Wasserkörpers die Folge einer neuen nachhaltigen Entwicklungstätigkeit des Menschen ist und Gründe des übergeordneten öffentlichen Interesses vorliegen. Darüber hinaus muss diese Tätigkeit alternativlos sein und es müssen alle erforderlichen Maßnahmen unternommen werden, um die negativen Auswirkungen für den Gewässerzustand zu minimieren.
Die Frage, wann eine Verschlechterung im Sinne der Richtlinie festzustellen ist, wird durch den EuGH weniger eindeutig beantwortet. Die Wasserrahmenrichtlinie unterscheidet fünf ökologische Zustandsklassen: sehr gut, gut, mäßig, unbefriedigend und schlecht. Die Einstufung des betreffenden Wasserkörpers misst sich daran, „wie stark die Qualität eines Flusses von den Referenzbedingungen eines vergleichbaren, durch menschliche Einflüsse unbeeinträchtigten Bereichs abweicht“ (UBA 2015). Die Qualität des Flusses wird durch biologische, physikalisch-chemische und hydromorphologische Qualitätskomponenten beschrieben. Maßgeblich für die Beurteilung des Verschlechterungsverbotes ist nach Auffassung des EuGH aber nicht erst eine Herabstufung um eine Zustandsklasse, sondern bereits die Verschlechterung mindestens einer Qualitätskomponente. Das bedeutet auch, dass bereits negative Veränderungen innerhalb einer Zustandsklasse eine Verschlechterung im Sinne der Richtlinie darstellen können. Allerdings konkretisiert der EuGH nicht weiter, ab wann eine Verschlechterung festzustellen ist, jedenfalls sei dies nicht erst bei einer „erheblichen Beeinträchtigung“ der Fall, wie es das Bundesverwaltungsgericht vorgeschlagen hatte.
Bedeutung für die Praxis
Nach dem Urteil des EuGH sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, ein Vorhaben zu untersagen, das zu einer Verschlechterung des Zustands von Flüssen, Seen oder Grundwasserkörpern führt. Die Schwelle, ab der eine Verschlechterung festzustellen ist, liegt demnach nicht erst dann vor, wenn sich die Zustandsklasse ändert oder eine „erhebliche Beeinträchtigung“ eintritt, sondern sie liegt darunter. Damit wird auch bei weniger großen Eingriffen als die hier gegenständliche Weservertiefung, die Vereinbarkeit des Projektes mit den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie zu prüfen sein. Und dabei sei nicht nur an unmittelbare Eingriffe wie der Bau von Wasserkraftwerken oder Ausbaggerungen gedacht, sondern auch an mittelbare Eingriffe, etwa durch Stoffeinträge oder durch Warmwassereinleitungen von Wärmekraftwerken.
Eine Bagatellgrenze für eine Verschlechterung gibt es nicht und wurde auch nicht durch den EuGH eingeführt, sodass der gutachterlichen Einschätzung eine zentrale Bedeutung zukommen wird. Es ist aber damit zu rechnen, dass sich auch die Gerichte noch mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Verschlechterung im Sinne der Richtlinie auseinandersetzen werden müssen. Ormond (2015) hat einige der offenen Fragen hierzu treffend zusammengefasst.
Vor dem Hintergrund der strengen Auslegung des Verschlechterungsverbotes werden zunehmend auch die Ausnahmevoraussetzungen nach Artikel 4 Absatz 7 WRRL zu prüfen sein, die in § 31 Absatz 2 Wasserhaushaltsgesetz Niederschlag finden. Insbesondere die Frage des übergeordneten öffentlichen Interesses ist dabei zu beantworten. Im Ausnahmefall müssen aber alle praktisch geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um die nachteiligen Auswirkungen auf den Gewässerzustand zu verringern. Diese werden im Falle der Weser- und Elbvertiefung recht weitgehend sein müssen.
Mehr:
EuGH (2015) Vorlage zur Vorabentscheidung – Urteil vom 1.7.2015 – C-461/13, Natur und Recht 37: 554–559.
Füsser, K. & Lau, M. (2015): Wasserrechtliches Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot nach dem Urteil des EuGH zur Weservertiefung. – NuR 37: 589–595.
Ormond, T. (2015): EuGH-Urteil zum Verschlechterungsverbot; http://idur.de/recht-der-natur-schnellbrief-191-juliaugust-2015.
Rolfsen, M. (2015): Der EuGH und die Weservertiefung – Leitentscheidung zur Ökologisierung des Wasserrechts, Natur und Recht 37: 437–441.
Umweltbundesamt (UBA; 2015): Bewertungsinstrumente der WRRL – Ökologischer Zustand: www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/gewaesser/fluesse/ueberwachung-bewertung/biologisch.
Zitiervorschlag: Nagel, P.-B. (2015): Urteil des Europäischen Gerichtshofs: Verschlechterungsverbot der EU-Wasserrahmenrichtlinie gilt projektbezogen. – ANLiegen Natur 37/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/weservertiefung/.