Totholzräumung nach Windwurf widerspricht dem Gedanken des Prozessschutzes und führt zur Reduktion der Artenvielfalt
(Markus Bernhardt-Römermann & Simon Thorn) Nicht geräumte Windwürfe weisen eine deutlich erhöhte Artenvielfalt für verschiedene Artengruppen auf. Die Ergebnisse einer Langzeitstudie, erschienen 2016 in der Zeitschrift Ecology Letters (THORN et al. 2016), zeigen deutliche Unterschiede im direkten Vergleich zwischen belassenen und aufgeräumten Windwürfen.
In Europas Wäldern fallen durch Sturm- und Windwurfereignisse jährlich zirka 20 Millionen Kubikmeter Holz an. Vor allem Fichtenwälder sind anfällig und ganze Bestände können innerhalb weniger Stunden umstürzen. Hinzu kommt, dass sich auf von Windwürfen betroffenen Flächen Borkenkäfer vermehren können. Daher ist es in Wirtschaftswäldern gängige Praxis zur Vermeidung von Borkenkäferkalamitäten, Windwürfe zu räumen und somit alles stärkere Totholz (Stämme) als potenzielle Brutstätte für Borkenkäfer zu entfernen. Auch wenn es ökonomisch geboten scheint, aus Sicht des Naturschutzes ist das Räumen von Windwürfen durchaus kritisch zu sehen – es ist bekannt, dass Windwürfe eine positive Wirkung auf viele Tier- und Pflanzenarten haben, da neue und einzigartige Lebensräume entstehen.
Im Nationalpark Bayerischer Wald fielen dem Orkan „Kyrill“ Mitte Januar 2007 an einem einzigen Tag zirka 1.000 ha Fichtenwald zum Opfer. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Dauerflächenuntersuchung wurden von einem Teil dieser Windwurfflächen alle Totholzstämme entfernt, wogegen ein anderer Teil unberührt blieb. Seit 2007 wurde auf 22 geräumten und 22 ungeräumten Probeflächen jedes Jahr das Vorkommen von totholzbesiedelnden Pilzen, Käfern, Moosen und Flechten sowie von nicht totholzabhängigen Organismengruppen (Gefäßpflanzen, Vögel, Moose und Flechten) erfasst. Ziel der hieraus resultierenden Studie war, zu erkennen, welchen Einfluss die Entfernung der Totholzstämme nach Windwurf auf die Artenvielfalt und Zusammensetzung der oben genannten Organismengruppen hat.
Es konnte gezeigt werden, dass die Artenzahl von Holzkäfern, Holzpilzen und holzbewohnenden Flechten auf geräumten Flächen drastisch reduziert war. Dies ist darauf zurückzuführen, dass diesen Organismengruppen durch die Räumung die Lebensgrundlage, also hier das Totholz, entzogen wurde. Wie erwartet, hat sich das Entfernen des Totholzes nicht auf die Artenzahl der totholzunabhängigen Organismengruppen Gefäßpflanzen, Vögel, Moose und Flechten auf dem Boden ausgewirkt. Allerdings ist hier interessant, dass es auch bei Pflanzen und Vögeln, die weniger auf Totholz angewiesen sind, deutliche Verschiebungen in der Artenzusammensetzung gab – es gibt also nicht weniger Arten, dafür aber andere Arten. Beispielsweise werden geräumte Flächen von Offenlandarten wie dem Wiesepieper besiedelt, statt von Arten der natürlichen Windwurfflächen wie dem Gartenrotschwanz.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich bei totholzabhängigen Organismengruppen durch die Räumung sowohl Artenvielfalt als auch Artenzusammensetzung verändern, hierbei ist die Reduzierung der Nahrungsgrundlage/des Siedlungsraums entscheidend. Dagegen gibt es bei nicht totholzabhängigen Organismengruppen Veränderungen in der Artenzusammensetzung. Hierfür sind vor allem Umweltveränderungen (zum Beispiel erhöhte Einstrahlung, höhere Bodentemperatur), unter anderem ausgelöst durch die mechanische Belastung bei der Räumung, als Grund zu nennen. Es konnte gezeigt werden, dass das Räumen von Fichtenwindwürfen deutlich in die Entwicklung von Artgemeinschaften eingreift. Damit widerspricht das Räumen fundamental dem Gedanken des Prozessschutzes und es sollten zumindest Windwürfe in Schutzgebieten von Räumungshieben ausgenommen werden.
Die Studie wurde finanziell unterstützt durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, der Natural Sciences and Engineering Research Council of Canada sowie durch die Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL).
Mehr:
Thorn, S., Bässler, C., Bernhardt-Römermann, M., Cadotte, M., Heibl, C., Schäfer, H., Seibold, S. & Müller, J. (2016) Changes in the dominant assembly mechanism drives species loss caused by declining resources. – Ecology Letters 19: 163–170.
Zitiervorschlag: Bernhardt-Römermann, M. & Thorn, S. (2016): Totholzräumung nach Windwurf widerspricht dem Gedanken des Prozessschutzes und führt zur Reduktion der Artenvielfalt – ANLiegen Natur 38/1; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/windwurf/.