Wie Wölfe die Entwicklung von Wäldern indirekt beeinflussen – Interaktionen zwischen Wölfen und Bibern
(Laura Wollschläger) Eine amerikanische Studie zeigt, dass Biber in Anwesenheit von Wölfen ihr Verhalten ändern und sich nicht mehr so weit von ihrem Gewässer entfernen. Dadurch verändern sich auch die Wälder rund um Biberreviere. Der Einfluss von Beutegreifern beschränkt sich demzufolge nicht nur auf ihre unmittelbare Beute und deren Population, sondern kann auch indirekt auf Ökosysteme übergreifen.
Im „Greater Voyageurs Ecosystem“, einem Waldgebiet in Minnesota, Vereinigte Staaten von Amerika (USA), wurden in den vergangenen Jahren mehrere Studien zur Interaktion zwischen Räuber und Beute und insbesondere zum Jagdverhalten von Wölfen durchgeführt. Das etwa 1.800 km2 große Gebiet liegt im Norden der USA, beinhaltet den “Voyageurs Nationalpark“ und ist überwiegend von Laub- und Nadelwäldern bedeckt. Sowohl die Dichte an Bibern als auch an Wölfen ist hoch (GABLE et al. 2023; URL 1).
Biber gehören zu den Arten, die von einem zentralen Aufenthaltsort auf Nahrungssuche gehen, sogenannte „central place foragers“. Sie verbringen die meiste Zeit in Gewässern und gehen nur an Land, um ihr Revier zu markieren oder um Baumaterial und Futter zu beschaffen. Dafür benutzen sie immer wieder die gleichen Wege („Biberpfade“) (GABLE et al. 2018; GABLE et al. 2023).
Lauerjäger verändern das Verhalten ihrer Beute
Während der Wintermonate jagen Wölfe in Rudeln größere Beutetiere wie Elche und Hirsche. Nach der Geburt der Jungen gehen sie jedoch zunehmend als Einzelgänger und Lauerjäger auf Jagd und bevorzugen kleinere Beutetiere wie Biber (GABLE et al. 2016; GABLE et al. 2018). Das Verhalten von Lauerjägern ist für die Beutetiere im Allgemeinen besser einschätzbar als das von Hetzjägern (GABLE et al. 2021). So können Beutetiere beispielsweise die Uhrzeit der Nahrungssuche, die Dauer, die Häufigkeit oder den Ort so wählen, dass das Risiko, einem Beutegreifer zum Opfer zu fallen, geringer ausfällt. Neben der direkten Tötung können Beutegreifer ihre Beute also auch durch ihr Jagdverhalten wie das Auflauern beeinflussen. Ein verändertes Fressverhalten von Schlüsselarten wie dem Biber, der unter anderem die Baumartenzusammensetzung und die Waldstruktur in seinen Revieren beeinflusst, hat wiederum weitreichende Auswirkungen auf die ökologische Dynamik der Wälder in der Umgebung von Biberlebensräumen (GABLE et al. 2023).
Die Autoren der Studie versahen Wölfe im „Greater Voyageurs Ecosystem“ mit GPS-Halsbändern, bestückten Biberreviere mit Wildkameras und verglichen die Merkmale von Biberpfaden. Auch Luftbilder zur Einschätzung der Waldentwicklung wurden ausgewertet (siehe Abbildungen 1a–d) (GABLE et al. 2023).
Auf Luftbildern verschiedener Bibergewässer ist erkennbar, dass sie rund um ihre Reviere bevorzugt Laubhölzer fällen, sodass vermehrt Nadelhölzer im Umkreis der Gewässer zu finden sind (erkennbar in Abbildungen 1c und d). Zudem lichten sie die Ufer auf und schaffen Lücken im Wald, in denen lichtliebende Baumarten wachsen können (Abbildungen 1a und b).
Wölfe schränken den Aktionsradius der Biber ein
Biber machen im Untersuchungsgebiet während der Sommermonate bis zu 42 % der Wolfsbeute aus. Die durchschnittliche Länge von aktiv genutzten Biberpfaden einer lokalen Biberfamilie beträgt 11,3–14,9 m. Wölfe töten oder lauern Bibern jedoch eher auf längeren Pfaden auf (durchschnittlich 23,1–28,8 m Länge). Im Wasser und in ihren Bauten sind Biber vor Beutegreifern sicher. Je weiter sie sich von ihrem Gewässer entfernen, desto größer ist das Risiko, auf Beutegreifer zu treffen und getötet zu werden (Abbildung 1e). So könnte sich durch die Anwesenheit von Wölfen ein Selektionsdruck ergeben, der Individuen fördert, die nur kurze Wege zur Nahrungssuche zurücklegen (GABLE et al. 2023).
Daraus schlussfolgern die Autoren, dass Wölfe das Verhalten der Biber beeinflussen, deren Aktionsradius einschränken und nur bei risikobereiten Individuen vermehrt Jagderfolg haben (GABLE et al. 2023).
Die Fläche, die Biber zur Nahrungssuche nutzen, wird im Untersuchungsgebiet durch die Anwesenheit von Wölfen um bis zu 43–69 % reduziert. Den Berechnungen der Studie zufolge beeinflusst der Wolf im „Greater Voyageurs Ecosystem“ somit indirekt 1,4–2,9 % der Waldfläche. Bei geringer Nahrungsverfügbarkeit kann der Prädationsdruck durch Wölfe letztlich auch zur Aufgabe des Biberreviers führen (GABLE et al. 2023).
Literatur
GABLE, T. D., JOHNSON-BICE, S. M., HOMKES, A. T. et al. (2023): Wolves alter the trajectory of forests by shaping the central place foraging behaviour of an ecosystem engineer. – Proceedings of the Royal Society B, Vol. 290, Iss. 2010.
GABLE, T. D., HOMKES, A. T., JOHNSON-BICE, S. M. et al. (2021): Wolves choose ambushing locations to counter and capitalize on the sensory abilities of their prey. – Behavioural Ecology 147.
GABLE, T. D., WINDELS, S. K., ROMANSKI, M. C. et al. (2018): The forgotten prey of an iconic predator: a review of interactions between grey wolves (Canis lupus) and beavers (Castor spp.). – Mammal Review, Vol. 48, Iss. 2.
GABLE, T. D., WINDELS, S. K., BRUGGINK, J. G. et al. (2016): Where and how wolves (Canis lupus) kill beavers (Castor canadensis). – PLoS ONE 11(12): e0165537; https://doi.org/10.1371/journal.pone.0165537.
URL 1: Voyageurs wolf project: www.voyageurswolfproject.org/greater-voyageurs-ecosystem (Zugriff: 14.03.2024).
Autorin
Laura Wollschläger
Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege
laura.wollschlaeger@anl.bayern.de
Laura Wollschläger (2024): Wie Wölfe die Entwicklung von Wäldern indirekt beeinflussen – Interaktionen zwischen Wölfen und Bibern. – Anliegen Natur 46/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/woelfe-biber/.
Zum Download der Notizen in der Rubrik Artenschutz:
Anliegen Natur 46/2 (2024): 4 Seiten als Volltext herunterladen (pdf barrierefrei 0,4 MB).
Nett, dass dies nun auch durch eine Studie festgestellt wurde. Bekannt ist es ja durch das alte Sprichwort: Wo der Wolf jagt, wächst der Wald. Es ist also keine überraschende Neuigkeit. Würde man in der nordwestlichen Oberpfalz (derzeit die höchste Wolfsdichte in Bayern) durchführen, wären die Ergebnisse noch viel extremer. Hier gingen vor der Wolfsanwesenheit die Biber mehr als 500 m von den Gewässern zu 20-30 jährigen Buchengruppen in den Nadelholzforsten, um deren schmackhafte Rinde zu fressen und dabei die aufwendigen forstlichen Mühen in kürzester Zeit wieder zunichte zu machen. Dem Förster kamen verständlicherweise die Tränen. Seit der Wolfsanwesenheit sind den weiten Nahrungsstreifzügen der Biber ein Ende gesetzt. Hätte man eine Vorher-Nachher-Studie in den Wald-Weiher-Gebieten der Oberpfalz durchgeführt, wären die Ergebnisse hinsichtlich der Flächenwirkung der Wölfe auf die Waldzusammensetzung um ein Zig-Faches höher. Schade, dass bei uns so wenig Naturforschung gemacht wird….
Bei uns wäre auch der Einfluss des Luchses auf die Biber interessant. Da der Luchs von haus aus ein Lauerjäger ist könnte ich mir vorstellen dass seine Einflussnahme noch größer ist als die der Wölfe.
Hat schon jemand den Einfluss der Fischotter auf den Biber ( Jungbiber) untersucht?
Hallo Rudi und Marcel,
wir haben bei unseren Bibern im Nationalpark gemessen und tatsächlich festgestellt, dass sie sich nach Rückkehr der Wölfe nicht mehr so weit aus dem Wasser trauen und wenn sie doch weiter gehen nur auf die saftigsten Weichlaubhölzer fokussieren. Im Böhmerwald sind die Biber die dritthäufigste Nahrung nach Rothirsch und Reh. Das ein Biber von einem Luchs gerissen wurde haben wir jedoch noch nicht beobachtet.
VG Marco