Falschmeldungen über die Zauneidechse gefährden Schutzbemühungen
(MO) Die Zauneidechse (Lacerta agilis) zählt in Deutschland zu den besonders und streng geschützten Reptilien. Bei Bauvorhaben und anderen Eingriffen in ihre Lebensräume muss daher das Artenschutzrecht beachtet werden. Unzutreffende Angaben über Biotopansprüche, Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen der Zauneidechse können die artenschutzrechtliche Beurteilung bestimmter Eingriffe erschweren. Einige fehlerhafte Annahmen konnten inzwischen weitgehend aufgeklärt werden; andere Fehldarstellungen und –bewertungen finden jedoch immer wieder Eingang in die gutachterliche Beurteilungspraxis und in die Ausgestaltung von Vermeidungs- und Ausgleichsmaßnahmen.
„Zauneidechsen – 500 m und andere Legenden“ lautet der Titel einer Veröffentlichung von Ina Blanke und dem kürzlich verstorbenen Wolfgang Völkl. Die beiden ausgewiesenen Reptilienkenner kritisieren, dass in Publikationen zum Schutz der Zauneidechse „zunehmend fragwürdige bis falsche Angaben zu deren Biologie zu lesen“ sind. Anhand von Beispielen zeigen die Autoren Fehlauslegungen und -darstellungen von Biologie und Rechtslage auf.
Eine häufig verbreitete Falschmeldung betrifft die Mobilität der Zauneidechsen. In verschiedenen Langzeitstudien wurde beobachtet, dass die Tiere gewöhnlich nur Entfernungen bis höchstens 20 m zurücklegen; Distanzen von 40 m und mehr gelten als Weitstrecken-Wanderungen. Zwar ist ein Tier aus Schweden nachweislich 500 m weit gewandert, für Deutschland sind 333 m sicher belegt. Die Mehrheit der Zauneidechsen gilt jedoch als ortstreu. Trotzdem ist häufig zu lesen, dass Zauneidechsen Strecken bis 500 m überwinden.
Auch das FFH-Bewertungsschema, das dem bundesweit erfolgenden FFH-Monitoring zugrunde liegt, enthielt bis vor kurzem diese Fehlinformation: Bis 2015 galten Entfernungen bis 500 m zum nächsten bekannten Zauneidechsenvorkommen als hervorragend und 500–1.000 m als gut vernetzt. Diese Werte, die weitaus höher sind als bei der viel mobileren Schlingnatter, wurden von mehreren Bundesländern in die Formulierung von Erhaltungszielen übernommen. Damit würden Schutzvorkehrungen festgeschrieben, die ihr Ziel verfehlen, beklagen die Autoren und warnen vor den Konsequenzen: „Bei geplanten Eingriffen ist durch zu großzügige Abgrenzungen zunächst eine fehlende Erkennung von lokalen Populationen der Zauneidechse und deren späterer Verlust zu befürchten. Umgekehrt können Schutzmaßnahmen nicht greifen, wenn sie für die betroffenen Tiere in unerreichbarer Entfernung liegen“. Das BfN hat kürzlich seine Angaben zur Mobilität der Zauneidechse korrigiert: In der neuesten Überarbeitung (Stand: Juni 2015) gelten nun maximal 100 m als gut vernetzt. Auch für Eingriffsverfahren ist diese Änderung von hoher Bedeutung.
LAUFER (2014a) greift die irreführenden Angaben zu einer angeblich hohen Mobilität der ortstreuen Zauneidechse auf. Der dort genannte Aktionsradius von 500 oder gar 1.000 m verhindert nach Ansicht von BLANKE & VÖLKL (2015) eine erfolgreiche Umsetzung vorgezogener Kompensationsmaßnahmen von Eingriffen in die Lebensstätten der Eidechsen. Denn wenn entsprechende Maßnahmenflächen nicht von den Tieren erreicht werden, da die Planungen von einer zu großen Mobilität von Lacerta agilis ausgehen, sind sie wirkungslos.
Dissens besteht auch über den Flächenbedarf solcher Schutzmaßnahmen. Laut LANA (2010) sind CEF-Maßnahmen nur wirksam, wenn die betroffenen Lebensstätten trotz eines Eingriffs „mindestens die gleiche Ausdehnung und eine gleiche oder bessere Qualität“ aufweisen. LAUFER (2014b) empfiehlt als Raumbedarf für eine adulte Zauneidechse nur 150 m2 Lebensraum (entspricht einem Kreisradius von weniger als 7 m) und legt diesen Wert auch für die Berechnung des Flächenbedarfs bei Umsiedelungen zugrunde. BLANKE & VÖLKL (2015) weisen dagegen darauf hin, dass der tatsächliche Raumbedarf der Individuen deutlich größer ist (über 2.000 m²) und für Populationen zudem die Jungtiere (die für einen dauerhaften Populationsaufbau nötig sind) in die Kalkulationen für Ausgleichsflächen einbezogen werden müssen. Fragwürdig seien auch die von LAUFER empfohlenen Kriterien zur Ermittlung der Populationsgrößen sowie nicht nachvollziehbar hergeleitete Korrekturfaktoren. So gehen BLANKE & VÖLKL (2015) davon aus, dass unter anderem aufgrund zeitlicher und/oder finanzieller Beschränkungen und suboptimalen Bedingungen (wie ungünstigen Untersuchungszeiträumen, wenig erfahrenen Bearbeitern, einem unvertrauten Gelände und Zugangsschwierigkeiten) Bestandszahlen ermittelt werden, die weit unter den Fangerfolgen einer intensiven Bearbeitung liegen.
„Ein effektiver Artenschutz muss sich an der Biologie der Arten und an der Rechtslage orientieren“, fordern die beiden Reptilienkenner und verweisen auf eine differenzierte Übersichtsarbeit über Erfahrungen mit den Naturschutzbemühungen in Brandenburg (SCHNEEWEISS et al. 2014). Auch darin finden sich keine einfachen Standard-Lösungen; vielmehr werden fallweise Betrachtungen angemahnt, die auch die Möglichkeit beinhalten, dass sich nicht jedes Bauvorhaben mit dem Schutz der Zauneidechse vereinbaren lässt.
Mehr:
Blanke, I. & Völkl, W. (2015): Zauneidechsen – 500 m und andere Legenden. – Z. f. Feldherpetologie 22: 115–124; http://shop.laurenti.de/media/pdf-Dateien/2015-01-09-abstract.pdf.
Bundesamt für Naturschutz (2007): Nationaler Bericht – Bewertung der FFH-Arten. – Arten nach Anhang II, IV und V der FFH-Richtlinie; www.bfn.de/0316_bewertung_arten.html.
LANA (= Länderarbeitsgemeinschaft Naturschutz; 2010): Hinweise zu zentralen unbestimmten Rechtsbegriffen des Bundesnaturschutzgesetzes. – Thür. Min. Landw., Forsten, Umwelt und Naturschutz.
Laufer, H. (2014a): Praxisorientierte Umsetzung des strengen Artenschutzes am Beispiel von Zauneidechsen. – NuL Naturschutz-Info 1: 4–8.www.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/11171/.
Laufer, H. (2014b): Praxisorientierte Umsetzung des strengen Artenschutzes am Beispiel von Zaun- und Mauereidechsen. – Naturschutz u. Landschaftspf. Baden-Württemberg 77: 93–142; www.fachdokumente.lubw.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/111814/02_Strenger_Artenschutz.pdf?command=downloadContent&filename=02_Strenger_Artenschutz.pdf&FIS=200.
Schneeweiss, N. et al. (2014): Zauneidechsen im Vorhabensgebiet – was ist bei Eingriffen und Vorhaben zu tun? Rechtslage, Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus der aktuellen Vollzugspraxis in Brandenburg. – Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 23(1):4–22; www.lugv.brandenburg.de/media_fast/4055/nl_1_2014_echse.pdf
Zitiervorschlag: Offenberger, M. (2015): Falschmeldungen über die Zauneidechse gefährden Schutzbemühungen. – ANLiegen Natur 37/2; www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/zauneidechse/.
Ja, aber!
Sehr schön, dass die ANL relativ zeitnah das Thema aufgreift. Nur finde ich die Fokussierung auf die Arbeiten von Hubert Laufer (bereits auch von den Autoren der Original-Arbeit) etwas heftig und ungerecht. Hat er doch mit seinen Vorgaben u.a. zur notwendigen Qualifikation eines saP-Bearbeiters und zur Untersuchungsintensität sowie seiner restriktiven Haltung bzgl. Umsiedelung zumindest für Baden-Württemberg Maßstäbe gesetzt. Faszinierend dabei: Die Behörden, Fachleute und Juristen haben das massiv unterstützt – ein wahres Musterländle!
Gut war auch, dass das Bundes-Defizit jetzt ja endlich abgestellt wurde. Aber dass bei uns in Bayern hier Vorgaben fehlen (und auch deshalb sehr viele saPs fehlerhaft sind, wie eine Untersuchung der TU München ergab), hat die ANL natürlich nicht vermeldet …