Naturschutz und Hochwasserschutz
6. Oktober 2015
Martin Schmid vom Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) informierte über die unterschiedlichen Ursachen und die Auswirkungen von Hochwasserereignissen. Der Vergleich historischer und gegenwärtiger Hochwasserdaten in Bayern zeigt, dass in großem Umfang Retentionsraum verloren ging und sich der Abfluss deutlich beschleunigt hat. Nach dem Junihochwasser 2013 hat die Bayerische Staatsregierung die bestehende Hochwasserschutzstrategie zum Aktionsprogramm 2020plus weiterentwickelt. Neu dazugekommen sind neben einer Erhöhung der Investitionen auf 3,4 Milliarden Euro eine Restrisikobetrachtung, ein erweitertes Rückhaltekonzept und ein verstärkter Risikodialog. Während Schmid die Bedeutung des technischen Hochwasserschutzes hervorhob und auf die eingeschränkte Wirkung des natürlichen Rückhalts hinwies, forderte Dr. Christine Margraf, Fachreferentin für Gewässer beim Bund Naturschutz in Bayern e.V., unter dem Schlagwort "Ursachenbekämpfung statt Symptombehandlung" großflächige Auenrenaturierungen. Diese dienten dem Hochwasserschutz und hätten zudem eine große Bedeutung für den Naturschutz. Notwendig sei eine Gesamtkonzeption mit den Komponenten Auenentwicklung, Deichrückverlegung, Verbesserung der Bodenversickerung und dezentrale Kleinrückhalte. Dadurch könnten die historischen Veränderungen zurückgenommen werden, da der Abfluss reduziert und gleichzeitig verzögert würde. In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass die vom LfU in Aussicht gestellte Potentialstudie "Natürlicher Rückhalt" einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, Maßnahmen des technischen Hochwasserschutzes mit denen des natürlichen Rückhalts zu kombinieren.
Klaus Müller-Pfannenstiel vom Planungsbüro Bosch und Partner betonte, dass Maßnahmenkonzepte in übergeordnete naturschutzfachliche Zielkonzepte, übergreifende ökologische Entwicklungskonzepte und Maßnahmenpläne eingebunden werden müssten. Eine Abstimmung der Maßnahmenkonzepte zwischen den Akteuren aus Wasserwirtschaft, Naturschutz und Landwirtschaft ist erforderlich, um einen Interessenausgleich herzustellen. In seinem Vortrag erläuterte er die Vollzugshinweise Hochwasserschutz zur Bayerischen Kompensationsverordnung und stellte ökologisch aufwertende Hochwasserschutzmaßnahmen anhand von Projektbeispielen an der Donau vor. Werden bei Deichrückverlegungen ehemals ausgedeichte Bereiche überflutet, sind Konflikte mit nicht überflutungstoleranten Arten vorprogrammiert. Der Referent erläuterte die Konfliktbewertung und die Planung von Artenschutzmaßnahmen für verschiedene Vogel-, Reptilien- und Amphibienarten.
Das Vorlandmanagement an der Donau zwischen Straubing und Vilshofen sieht zur Abflussertüchtigung die Rodung und Auflichtung von Gehölzbeständen in Abflusskorridoren sowie die Umnutzung von Ackerflächen vor. Die hohe naturschutzfachliche Bedeutung des Gebietes (Natura-2000-Gebiet, diverse nationale Schutzgebietskategorien) stellt besondere Anforderungen an die Entwicklung eines Ausgleichskonzeptes. Clemens Berger, Landespfleger am Wasserwirtschaftsamt Deggendorf, stellte das Maßnahmenkonzept und die Eingriffs- /Ausgleichsbilanz vor. Es lassen sich keine negativen Auswirkungen auf Vogel- , Wiesen- und Hochstaudenbestände feststellen, teilweise haben sich die Bestände infolge der Artenhilfsmaßnahmen sogar positiv entwickelt. Der mit der Planung und Ausführung beauftragte Landschaftsarchitekt Thomas Herrmann (Landschaft und Plan Passau) präsentierte viele Praxisbeispiele zur Neubegründung von Auwald- und Wiesenbeständen. Um die Geländeniveaus für die einzelnen Auenvegetationstypen ermitteln zu können, ist eine genaue Analyse der flussspezifischen Standortbedingungen erforderlich.
Dr. Barbara Stammel vom Aueninstitut Neuburg hob die Bedeutung der Auen für die Biodiversität und das Wohlergehen des Menschen hervor. Im Projekt "Dynamisierung der Donauauen bei Neuburg" wurde die Durchgängigkeit der Donau an der Staustufe Bergheim durch die Schaffung eines neuen Verbindungsgewässers wiederhergestellt sowie die Oberflächen- und Grundwasserdynamik durch ökologische Flutungen und ein Grundwassermanagement verbessert. Die Ergebnisse des Monitoringprojekts MONDAU zeigen, dass die hydrologischen Bedingungen im Projektgebiet nur im unmittelbaren Überschwemmungsbereich des Verbindungsgewässers zur Entwicklung einer Sekundäraue mit auentypischen Arten führen. Beim Monitoring sind die verschiedenen Artengruppen räumlich differenziert zu betrachten, um die Steuerung weiter optimieren zu können. Insgesamt können ökologische Flutungen einen wichtigen Beitrag für die Revitalisierung von Auen leisten, besonders bei optimalen hydraulischen Rahmenbedingungen (Ausuferung bereits bei kleinen Hochwasserereignissen, hohe Dynamik), es bedarf aber weiterer Maßnahmen wie zum Beispiel eines Niedrigwassermanagements.
Am Rhein liegen bereits seit den 1990er Jahren Erfahrungen mit ökologischen Flutungen in Rückhalteräumen vor. Der Biologe Norbert Korn ist seit Beginn der Planungen für das Regierungspräsidium Freiburg tätig. Beim Polder Altenheim wurden bisher 163 ökologische Flutungen durchgeführt. Da sich nur typische Tier- und Pflanzenarten der Auenökosysteme als angepasst erwiesen, sind regelmäßige und länger anhaltende Überflutungen erforderlich. Es zeigte sich, dass Verhaltensanpassungen an die Überflutungssituation möglich sind und entsprechende Rückzugsräume von Wildtieren angenommen werden. Die Hartholzauwaldbestände konnten infolge der ökologischen Flutungen stabilisiert werden, aufgrund der geringen Flutungsdauer ist eine Etablierung von Weichholzauen jedoch nicht möglich. Während sich die geringe Morphodynamik negativ auswirkt, finden problematische Sedimentationsvorgänge beim Polder Altenheim aufgrund der ausreichenden Fließgeschwindigkeit nur in geringem Umfang statt.
Als Konsequenz aus dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil vom September 2014 hält Korn fest:
- In Hochwasserrückhalteräumen sind ökologische Flutungen als Vermeidungsmaßnahme durchzuführen, soweit dies im jeweiligen Fall möglich ist.
- Ökologische Flutungen stellen vor allem in der Anfangsphase einen Eingriff dar. Die Eingriffswirkungen müssen erfasst und im Genehmigungsverfahren in die Abwägung einbezogen werden.
- Die durch ökologische Flutungen ermöglichte Auenentwicklung ist eine Ersatzmaßnahme.
07. Oktober 2015
Nach den Vollzugshinweisen Hochwasserschutz zur bayerischen Kompensationsverordnung entfällt die Kompensationsverpflichtung, wenn Deichflächen naturnah gestaltet und gepflegt werden. Klaus Müller-Pfannenstiel erläuterte die Faktoren für die Ausbildung der Zielbiotoptypen: Oberbodenmächtigkeit, Nährstoffgehalt, Wasserspeicherfähigkeit, Beschaffenheit des Unterbodens, Exposition/Inklination und Pflege. Im Rahmen der Hochwasserschutzmaßnahmen an der Donau entwickelte Bosch und Partner ein Begrünungskonzept für Deiche mit konkreten, biotopspezifischen Vorgaben für Deichbau und Biotoppflege. Die Angaben zur Beschaffenheit und Mächtigkeit der Vegetationstragschichten wurden dabei von den Substraten alter Donaudeiche abgeleitet. Auch wenn sich generell sagen lässt, dass möglichst nährstoff- und humusarme Feinsubstrate aus geeigneten Herkünften verwendet werden sollten, ist es für jedes Flusssystem erforderlich, die spezifischen Anforderungen besonders an die Substratbeschaffenheit und –mächtigkeit zu ermitteln.
Anne Ruff vom Planungsbüro für angewandten Naturschutz PAN, stellte die Anwendung der Eingriffsregelung bei Hochwasserschutzprojekten in der Theorie und an einem Praxisbeispiel vor. Sie erklärte, wie der Kompensationsbedarf für das Schutzgut Arten und Lebensräume nach der Biotopwertmethode ermittelt wird. Nicht flächenbezogen bewertbare Merkmale und Ausprägungen des Schutzgutes Arten und Lebensräume müssen verbalargumentativ bewertet werden und können den Kompensationsbedarf erhöhen. Durch die geeignete Positionierung einer Auwald-Entwicklungsfläche wurden im konkreten Beispiel Eingriffe in das Landschaftsbild kompensiert. In einem Ausgleichskonzept müssen neben dem Kompensationsbedarf aus der Eingriffsregelung auch andere Kompensationserfordernisse, soweit fachlich möglich, multifunktional übereinander gelagert werden. In ihrem Fazit stellte Ruff heraus, dass die Regelvermutung bei der Kompensation von Deichen zu einem vergleichsweise geringen Kompensationsbedarf führt. Die verbalargumentative Bewertung sieht die Referentin als Chance für den Planer, ein stimmiges naturschutzfachliches Kompensationskonzept zu entwickeln.
Klaus Rachl (Regierung von Niederbayern) betonte den großen Nutzen der von der Regierung von Niederbayern erarbeiteten Maßnahmen- und Artenschutzkonzepte für die geplanten Projekte zur Erreichung des 100-jährlichen Hochwasserschutzes und zum Donauausbau. Die Natura 2000-Managementplanung wurde räumlich und inhaltlich um die Aussagen des Auenentwicklungskonzept des Wasserwirtschaftsamtes Deggendorf ergänzt ("Landshuter Modell").Das Maßnahmenkonzept stellt somit eine umfassende Planungsgrundlage für Kompensationsmaßnahmen, für Maßnahmen des speziellen Artenschutzes und für Vermeidungsmaßnahmen dar. Aus rechtlichen Gründen wurde eine strikte Trennung von FFH-Managementmaßnahmen (Erhaltungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen) und Kohärenzmaßnahmen vorgenommen. Handlungsspielräume für ökologische Ausgleichsmaßnahmen wurden räumlich und inhaltlich konkretisiert. Klaus Rachl betonte die Bedeutung des Landschaftspflegerischen Begleitplans, dessen Integrationsarbeit rechtlich zentral und fachlich anspruchsvoll sei. Wichtig sei außerdem, die Anforderungen zur Begrünung von Deichen bereits in die Planfeststellung aufzunehmen und zusätzliche Flächen oder Maßnahmen für den Fall vorzusehen, dass naturschutzfachliche Ziele nicht erreicht werden. Der Referent erläuterte das Artenschutzkonzept mit den Bestandteilen aktuelle Habitatkulisse, Flächenvorschläge Natura 2000-Managementplan, Anforderungskatalog zur Optimalhabitatausstattung und "Prinzipskizzen Optimalhabitat" am Beispiel des Kiebitzes und stellte Praxisbeispiele für die Deichpflege und Artenschutzmaßnahmen vor.
Exkursion
Clemens Berger vom Wasserwirtschaftsamt Deggendorf informierte über die Begrünung und das Pflegemanagement des 2014 errichteten Deichs bei Fischerdorf. Zweiter Exkursionsort war die Deichrückverlegung bei Natternberg, die von Franz Mader vom Wasserwirtschaftsamt Deggendorf und Jürgen Sundermann vom Planungsbüro Landschaft und Plan Passau vorgestellt wurde. Als Ausgleichsmaßnahme für Eingriffe im Rahmen des Vorlandmanagements an der Donau zwischen Straubing und Vilshofen wurde der Deich auf einer Länge von 2,4 km rückverlegt und im neuen Vorland auf einer Fläche von 20 Hektar der Boden 0,5 bis 2,0 Meter abgetragen. Damit wurden geeignete Standortbedingungen für die Entwicklung einer Weichholzaue durch Sukzession und Weidenstecklinge geschaffen. Zusätzlich wurden Arten der höhergelegenen Weichholzaue und der Hartholzaue überwiegend als Sämlinge gepflanzt. Eine zentral gelegene Flutmulde fördert die Durchströmung im Hochwasserfall und stellt zusammen mit zwei Altwassern neue Lebensräume für Amphibien und Fische dar. Die neu entstandene Auenlandschaft vor den Toren Deggendorfs wird nicht nur von den Zielarten angenommen, sondern auch von der örtlichen Bevölkerung als Naherholungsgebiet geschätzt.
Ansprechpartnerin
Stefanie Riehl
Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL)
Fachbereich 3: Bildung, Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation
Seethalerstraße 6
83410 Laufen
Telefon +49 8682 8963-51
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