Jahrestag der Beweidung 2016: Beweidung und Blühhorizonte
Yakweide am Stampflberg.
(Foto: Dr. Andreas Zahn)
38 Teilnehmer aus ganz Bayern beschäftigten sich am 4. Juni, dem "Jahrestag der Beweidung",
mit dem viel diskutierten Thema "Beweidung und Blühhorizonte". Kooperationspartner war in diesem Jahr die Kreisgruppe des Bund Naturschutz in Mühldorf. "Da Bauer und die Wirtin" im Gasthaus Maier-Gallenbach in Taufkirchen versorgten die Teilnehmer auf das Beste.
Beweidung hat sich in vielen Fällen zur Pflege, Erhaltung und Wiederherstellung naturschutzfachlich wichtiger Lebensräume bewährt. Allerdings sind in vielen Fällen Feinheiten beim Management dringend zu beachten. Genaue Kenntnisse zur Lebensweise der schützenswerten Arten sind erforderlich und müssen bei der Planung berücksichtigt werden. Häufig stellen sich beweidete Flächen für Besucher nur zu bestimmten Jahreszeiten attraktiv dar und wirken in der übrigen Zeit in Teilen eher ungepflegt, übernutzt oder öde.
Beim Jahrestag der Beweidung wurden Beispiele aus verschiedenen Projekten und Blickwinkeln vorgestellt, die in unterschiedlichen Lebensräumen und mit verschiedenen Tierkategorien arbeiten.
Den Beginn machte Dr. Andreas Zahn vom Bund Naturschutz Mühldorf mit einer kompakten Zusammenfassung der Kernfragen zum Thema "Beweidung und Blühhorizonte". Er zeigte in eindrucksvollen Beispielen, dass die Grundeinschätzung "strukturreich, aber blütenarm" für Weiden nicht zwingend ist, sondern bei entsprechendem Management durchaus üppige Blühaspekte erreicht werden können. Weitere für die Naturschutzarbeit wichtige Feststellungen sind, dass viele Weiden zwar blütenärmer sind, was jedoch nicht mit artenärmer gleich gesetzt werden darf. Viele verschiedene Arten kommen auf gut gemanagten Weiden vor und blühen, jedoch überwiegend vereinzelt und zeitlich versetzt. Dieses Phänomen, das zunächst als Unregelmäßigkeit erscheinen mag, bietet den Vorteil, dass gerade in Zeiten klassischer Blütenengpässe zum Beispiel im Hochsommer auf Weideflächen immer noch Blüten verfügbar sind. Interessante Blühaspekte auf Weiden können auf sehr unterschiedliche Weise erreicht werden, abhängig von Flächengröße, Vegetationstyp und Weidemanagement. Bei einer Ganzjahresbeweidung ist ein Nahrungsüberschuss im Frühsommer vorhanden, der viele Blüten ermöglicht.
Durch die Aufnahme von Winterfutter aus der Fläche wird eine übermäßige Ansammlung von Biomasse auf der Fläche dennoch verhindert. Allerdings gestaltet sich eine ganzjährige Weidehaltung auf bayerischen Flächen aufgrund der Schneelage und Witterungsverhältnisse eher schwierig. Schöne Blühaspekte erreicht man auch mit einer strengen Portionsweide, bei der kurz und intensiv beweidet wird, mit langen Ruhephasen zwischen den Beweidungseinheiten. Dieses Vorgehen kann aus faunistischer Sicht Probleme bringen. Eine dritte Möglichkeit ist die Verzögerung der Beweidung bis zum Beginn der Hauptblütezeit im Mai/Juni. Auch hier ist große Achtsamkeit beim Management erforderlich, da dieses Vorgehen auf Dauer eine schleichende Verbrachung bewirken kann. Vorweide, Mähweide oder partielles Auszäunen sind ergänzende Maßnahmen oder Sonderformen, die ebenfalls zum Einsatz kommen. In der Summe scheint der Königsweg darin zu liegen, die Maßnahmen zu variieren, sehr gut an den Standort anzupassen und durch ständige Beobachtung immer wieder zu korrigieren oder zu optimieren. Will man gute Ergebnisse erreichen, muss viel Energie in das Management gesteckt werden.
Mag. Dr. Susanne Aigner betonte in ihrem Vortrag die Wichtigkeit, sich dieser Aufgabe zu stellen. Gerade die naturschutzfachlich wichtigen extensiven Wiesen und Weiden fallen als erste der Brachlegung zum Opfer, sei es aktiv oder schleichend. Sie stellte klar, dass Blütenreichtum von Flächen stets von vielen Faktoren abhängig ist. Gerade auf den Almen und Alpen sind Ausgangsgestein, Höhenlage und Relief oftmals sehr prägend. Dr. Aigner zeigte aber auch eindrucksvoll wie klar die Zusammenhänge zwischen standortangepasster Nutzung und Blütenreichtum sind. Dabei wurde deutlich, dass die Zusammenhänge zwischen Ertragspotenzial und Biodiversität dringend zu beachten sind. Nur eine kreislaufbezogene Bewirtschaftung bietet die Möglichkeit zu optimalem Wirtschaften bei hoher Biodiversität. In diesem Zusammenhang ist das Thema Düngung und Stickstoffkreislauf besonders beachtenswert. Nun wird nicht nur über organischen Dünger und die Luft zugeführt, sondern auch über Leguminosen und die Mineralisation, eine Entnahme erfolgt neben der Ernte auch über Auswaschung.
Wird mit Gülle gearbeitet, wird unter anderem der Nährstoffhaushalt nivelliert, das unterirdische Wachstum wird im Gegensatz zum oberirdischen Wachstum nicht gefördert und für die Bodenorganismen liefert Gülle keinen entscheidend positiven Beitrag. Gerade im kleinrelieffierten und teilweise steilen Gelände der Almen und Alpen kann die flächige Ausbringung von Gülle sich deshalb sehr negativ auswirken. Ein weiteres weit verbreitetes Problem auf den Almen und Alpen ist das Überhandnehmen artenarmer Borstgrasbestände aufgrund fehlender oder falscher Beweidung. Hier muss durch eine sinnvolle Kombination verschiedener Maßnahmen gegengesteuert werden. Kalkung ist nur ergänzend insbesondere bei mächtigen Rohhumusschichten empfehlenswert. Mit Leitlinien für eine standortangepasste Beweidung fasste Dr. Aigner die jahrelangen Erfahrungen zum Management von Almen und Alpen zusammen.
Die Bedeutung von Blüten und Blühhorizonten aus tierökologischer Sicht referierte Dr. Matthias Dolek. Für viele Blütenpflanzen ist die Bestäubung ein entscheidender Faktor, für Tiere bieten Blüten neben der Nahrungsaufnahme wichtige Ansitzwarten oder Eiablageplätze. Hier gibt es sehr verschiedene wechselseitige Anpassungen sowohl auf Seiten der Pflanzen und Blüten wie auf Seiten der Besucher. Blütenbesuchende Arten nutzen die Blüten sehr unterschiedlich, Lernprozesse sind ebenso zu beobachten wie besondere Präferenzen einzelner Arten. Nachdem in der Falterökologie in den letzten Jahren verstärkt das Larvalhabitat im Fokus war, zeigen neueste Untersuchungen deutliche Zusammenhänge zwischen Nektarversorgung und Physiologie, was letztlich für die Reproduktion und Fitness der Arten von Bedeutung sein kann. Zahlreiche Studien belegen, dass die Biodiversität der Blütenbesucher vor allem von der vorhandenen Blütendichte abhängig ist, weniger vom Habitattyp oder der Landnutzung.
Allerdings lässt sich auch nachweisen, dass die Bestäuber bei zunehmender Landnutzungsintensität abnehmen, wobei spezialisierte Blütenbesucher von einer Intensivierung stärker betroffen sind als Generalisten. Eine angepasste Beweidung zur Offenhaltung der Landschaft ist auch für blütenbesuchende Tiere grundsätzlich wichtig und positiv zu sehen. Die Beweidung zur Hauptblütezeit ist meist ungünstig, frühe oder späte Beweidungszeitpunkte sind allerdings mit Blick auf die längerfristige Entwicklung der Flächen oft unpraktikabel. Trotz Anwendung verschiedener Beweidungssysteme gibt es immer Gewinner und Verlierer auf den Flächen. Viele Wechselwirkungen mit Biotopverbund, Vernetzung, Flächengröße, Fortpflanzungshabitaten lassen die Anforderungen an das Management unüberschaubar erscheinen.
Neben der speziellen Anpassung der Beweidungssysteme auf die vorkommenden Ziel- oder Leitarten ist deshalb ein gesamtlandschaftliches Denken und Handeln wichtig. Keine Landnutzungsform bietet für Blütenbesucher ausreichend Nahrung über das ganze Jahr, deshalb hat die unterschiedliche Grasnutzung auf lokaler Ebene eine hohe Bedeutung. Des Weiteren sind Strukturvielfalt und Habitat-Mosaik sehr wichtig. Wo diese fehlen, können Brache-Streifen oder seltener gemähte Streifen an den Rändern diese Funktion übernehmen und die Artenvielfalt begünstigen.
Über 20 Jahre lang beobachtet und begleitet Dipl.- Biol. Burkhard Quinger nun schon die Regeneration blütenreicher Rindermagerweiden nach jahrzehntelanger Brachlegung im bayerischen Alpenvorland. Seine beeindruckenden Auswertungen stellte er in Auszügen vor. Auf den Flächen des Hartschimmelhofes bei Pähl/Landkreis Weilheim-Schonagau stand eine seit 1916 nachweislich als Rinderweide genutzte Fläche im Mittelpunkt, in deren Umfeld weitere Flächen nach mindestens 30 jähriger Brache im Umtriebsverfahren wieder beweidet wurden. Aus unterschiedlichen Dominanz-Beständen des Rohr-Pfeifengrases sowie Polykormonen aus Buntem Reitgras und ähnlichen typischen Brachestadien haben sich mittlerweile artenreiche Magerrasen wieder entwickelt, die zum Teil in ihrer Ausprägung der historischen Weidefläche entsprechen.
Einzig an Stellen mit starker Laubstreuakkumulation war die Regeneration von Magerrasen nur bedingt möglich, was in schönen Hutweiden aber bis zu einem Mindestmaß zu tolerieren ist. Beim Weideprojekt Obere Isar werden vergraste lichte Schneeheide-Kiefernwälder der Pupplinger und Ascholdinger Au wieder beweidet. Die in jahrzehntelanger Brache entstandenen Streufilzdecken sollen wieder zu artenreichen Magerrasen entwickelt werden. Außerdem sollen Verjüngungsmöglichkeiten der Kiefer verbessert werden. Auch auf den seit 2010 beweideten Versuchsflächen dort stellten sich bereits sehr positive Entwicklungen ein.
Die jahrelangen Beobachtungen ermöglichten Herrn Quinger die Einschätzung der Empfindlichkeit von Gräsern und Grasartigen gegenüber der Beweidung mit Rindern. Auch einige unerwartete Entwicklungen konnte er dokumentieren, so wurde beispielsweise für den Behaarten Alant (Inula hirta) eine Weide-Empfindlichkeit angenommen, die sich aber in 25 Jahren Beobachtung nicht bestätigt hat. Während der Stengellose Enzian (Gentiana clusii) gut weideverträglich ist, sind
Sumpf-Gladiole (Gladiolus palustris) und Klebriger Lein (Linum viscosum) weideempfindlich. Dem muss bei der Weideführung Beachtung geschenkt werden. Im Weideprojekt Obere Isar erfolgt beispielsweise die Weideführung so, dass die Population der besonderen Zielart des botanischen Artenschutzes, des Frauenschuhs (Cypripedium calceolus) nicht nachhaltig beeinträchtigt wird.
Aus den vielfältigen und sehr gut dokumentierten Beobachtungen lassen sich auch weitreichendere Ableitungen treffen. So reagierte die Horst-Segge (Carex sempervirens), bestandsbildende Art des Silberdistel-Horstseggenrasens, weide-empfindlich. Die logische Ableitung hiervon ist einschüriges hochsommerliches Mähen von Buckelwiesen, wenn diese in ihrer charakteristischen Form als Silberdistel-Horstseggenrasen erhalten werden sollen. Wie bereits die Vorredner betonten, geht es jedoch nicht um die Entscheidung Beweidung versus Mahd, sondern um den Erhalt einer kreislauforientierten Grünlandbewirtschaftung, in der mit dem Schnittgut aus der Heugewinnung die Winterfütterung der Rinder vorgenommen wird.
Die praktische Umsetzung des Weideprojektes Obere Isar erläuterte Markus Henning vom Maschinenring Wolfratshausen. Die Beweidung der schwierigen Standorte mit dichten Streufilzdecken wurde von den Rindern der Rasse Murnau-Werdenfelser sehr gut gemeistert. Mulchen und Abräumen der Streufilzdecke im Zuge einer Erstpflege wurde hauptsächlich durchgeführt, um von Beginn an verwertbares Futter für die Kühe zur Verfügung stellen zu können. Bei den Erweiterungsflächen wurde darauf verzichtet, dennoch wurden ähnlich gute Ergebnisse erzielt. Zäune, Tränken und Unterstände sind wichtige Weideeinrichtungen, die mit Bedacht geplant und umgesetzt wurden. Von der Anlage eines kleinen Brunnens ist nach Erfahrungen aus dem Projekt eher abzuraten. Empfehlenswerter ist entweder eine großflächigere Lösung oder die klassische Lösung über einen Wasserwagen.
Auf Unterstände kann bei genügend vorhandener Überschirmung verzichtet werden. Besonders wichtig für das Gelingen des Projekts ist ein aufgeschlossener, erfahrener und überzeugter Tierhalter. Außerdem sollte von Anfang an mit allen Beteiligten das Gespräch gesucht werden. Fachliche und ressortspezifische Bedenken müssen ernst genommen werden, dann sind konfliktarme Lösungen möglich. Auch wenn ein Projekt stets experimentellen Charakter hat, sollte bereits im Vorfeld klar sein, wie es - bei positivem Ausgang – langfristig weitergeführt werden kann. Die durch den Vorredner Herrn Quinger vorgestellten Ergebnisse des Monitorings bestätigen die Wichtigkeit solcher begleitenden Studien, einmal zur Dokumentation von Erfolg und Misserfolg, aber auch im Hinblick auf die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Standorte.
Die Exkursion bot sehr vielfältige Eindrücke: Zunächst besichtigten wir unter fachkundiger Führung von Dr. Andreas Zahn das Weideprojekt "Kiesgrube" des Bund Naturschutz Mühldorf. Die rund 16ha große Fläche wird seit 1999 mit Rindern und seit 2011 zusätzlich mit Ziegen beweidet, um das Gelände für Offenlandarten (u.a. Gelbbauchunke, Zauneidechse, Blauflügelige Ödlandschrecke) in einem gehölzarmen Zustand zu halten. Trotz Standbeweidung erweisen sich Teilflächen über lange Zeit als blütenreich, für blütenbesuchende Insekten ist bis in den Herbst hinein ein gutes Angebot vorhanden. Über zusätzliche Experimente wird versucht Fragen aus der naturschutzfachlichen Praxis zu lösen. So werden beispielsweise unterschiedliche Materialhaufen aus Stein, Ziegeln und Holz auf ihre Tauglichkeit als Zauneidechsen-Habitatstruktur erprobt.
Auch die Fahrt im Bus wurde genutzt: Michael Stadler von der Unteren Naturschutzbehörde Mühldorf stellte das BayernNetzNatur-Projekt "Blühendes Inntal" vor. Unter Trägerschaft des Landkreises und mit Förderung des Bayerischen Naturschutzfonds sollen im Projektgebiet die letzten artenreichen Magerwiesen zu einem Biotopverbund vernetzt werden. Hierzu werden die Landwirte und Grundeigentümer unterstützt, die sich die Mühe machen, die oft an steilen Hängen und Böschungen gelegenen Magerwiesen zu mähen oder zu beweiden. Brachgefallene Wiesen und Weiden werden über Landschaftspflegemaßnahmen wieder in Stand gesetzt.
Ein wichtiger Akteur in diesem Zusammenhang ist die Familie Kohl, die mit ihren Yaks viele solcher Flächen pflegen. Besonders schöne Flächen liegen am zweiten Exkursionspunkt, dem Stampflberg. An diesem südexponierten Hang der Innleiten werden ehemalige Schafweiden seit einigen Jahren mit Yaks beweidet und haben sich zu äußerst blütenreichen Flächen entwickelt. Blütenarme Schafstandweiden in unmittelbarer Nachbarschaft erlauben einen eindrucksvollen Vergleich. Abschließend konnten Interessierte den Heimbetrieb der Familie Kohl in Franking bei Taufkirchen besichtigen und weitere Details zur Yakzucht, -haltung und –vermarktung erfahren.
Ansprechpartnerin:
Dr. Bettina Burkart-Aicher
Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL)
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