Jahrestag der Beweidung 2019: InsektenVielfalt verschiedener Beweidungssysteme am 07. November 2019 (76b/19) in Ampfing
Beweidung der ehemaligen Kiesgrube in Mühldorf (Foto: Andreas Zahn).
Kurzrückblick
Lang war die Warteliste derer, die noch gerne zum „Jahrestag der Beweidung“ der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) am 7.11.2019 in Ampfing gekommen wären. Das Thema in diesem Jahr lautete „InsektenVielfalt verschiedener Beweidungssysteme“. In unterschiedlichen Fachbeiträgen wurden die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Beweidungssystemen und Insektenvielfalt vorgestellt und diskutiert.
Entwicklungen der Heuschreckenpopulationen
Zunächst schilderte Dr. Andreas Zahn die Entwicklungen der Heuschreckenpopulationen auf den Weideflächen in der Kiesgrube in Mühldorf. Das durch die Beweidung entstandene Habitatmosaik verschiebt sich über die Jahre nur graduell. Es konnte herausgearbeitet werden, wie sich auch kleinräumige Unterschiede im Habitatangebot direkt auf die Besiedlung durch die zugehörigen Arten auswirken. Gerade die mechanische Beschädigung von Halmen durch die Weidetiere scheinen ein Eldorado für viele Insekten zu schaffen, die in solchen Strukturen brüten oder den Winter überleben. Über 20 Jahre konnte in der Kiesgrube mit einem vergleichsweise niedrigen Budget die dort lebende Artengemeinschaft erhalten werden. Entscheidend waren vermutlich dabei die Strukturvielfalt und das enge Nebeneinander unterschiedlicher Lebensräume. Leider wanderten kaum neue Arten in die tolle Fläche ein, was daran liegen mag, dass es immer weniger naturnahe Flächen in der Umgebung gibt. Das gibt Anlass zur verstärkten Diskussion von Biotopvernetzungs- und Wiederansiedlungsprojekten. Die über 20 Jahre währende Beobachtung der Heuschreckenpopulationen zeigt teilweise gravierende Bestandsschwankungen, einzelne Ursachen für diese Schwankungen lassen sich jedoch nur schwer ausmachen. Dr. Zahn warnte davor nach kurzen Untersuchungen zu voreiligen Schlüssen zu kommen. Bei kurzen Zeitreihen sei das Risiko von Fehlschlüssen enorm hoch.Mikrohabitate für Wildbienen
Dr. Bernhard Hoiß, Wildbienenexperte der ANL, zeigte anschaulich wie gerade Nistmöglichkeiten und Baumaterial für Wildbienen auf Weideflächen entstehen können. Auch ein warmes Mikroklima und ausreichend geeignetes Blütenangebot sind entscheidend. Da gerade die oberirdisch brütenden Wildbienen auf vorhandene Hohlräume angewiesen sind, sind abgebrochene Stängel von Stauden besonders attraktiv. Dabei ist zu beachten, dass Hochstauden, die stehen geblieben sind mindestens zwei - drei Jahre stehen bleiben müssen, damit sich die Larven der Wildbienen darin entwickeln können. Es reicht nicht aus, über den Winter einige Stängel stehen zu lassen, die im Folgejahr über Pflegemahd wieder entfernt werden. Saumstrukturen wie sie sich beispielsweise an Festzäunen ausbilden, bieten ebenso interessante Mikrohabitate. Besonders für Arten, die schon zeitig im Frühjahr fliegen sind darüber hinaus Gehölze wie die frühblühenden Weiden, Ahorn oder Schlehen von großer Bedeutung als Nahrungsquelle. Für die unterirdisch brütenden, grabenden Wildbienen sind sandig-lehmige offene Bodenstellen entscheidend. Mit wenig aufwändigen Maßnahmen kann hier Hilfestellung geleistet werden, indem kleinflächig (1m3) die Humusschicht durchbrochen wird oder Nisthügel/Sandhaufen angelegt werden. Diese sollten in jedem Fall nach Süden ausgerichtet und nicht zu stark bewachsen sein. Geländeanrisse, Trockenmauern und Hohlwege bieten vertikalen Zugang und werden durch die Weidetiere häufig sogar „gepflegt“, beispielsweise durch scheuern oder wälzen. Ein kleiner Exkurs führte kurz zu den Schwebfliegen, die eher im feuchten Bereich zu verorten sind und vor allem Wald-Offenland-Übergänge benötigen. Hier sind Requisiten wie aufgeklappte Wurzelteller, verletzte Bäume oder Totholz aber auch Hochstauden und Blattlauskolonien von großer Bedeutung. Näheres findet sich in einer aktuellen Zusammenfassung unter: https://www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/doc/an42106hoiss_2020_schwebfliegen.pdf
Exkursion zur ehemaligen Kiesgrube Mühldorf (Foto: Bernhard Hoiß, ANL).
Grünland in Österreich
Dr. Thomas Frieß vom Ökoteam in Graz berichtete von den Erfahrungen aus Grünlandgebieten in Österreich. In umfangreichen vergleichenden Untersuchungen wurden Spinnen, Laufkäfer, Wanzen und Zikaden untersucht. Sehr deutlich zeigte sich auch hier, dass divergierende Ergebnisse zu erwarten sind, je nachdem welches Set aus Pflanzen- oder Tierarten untersucht wurde. Daher ist es von größter Wichtigkeit die Biozönose, also die Lebensgemeinschaft aus allen vorhandenen Arten zu betrachten und mit streng standardisierten Erhebungen zu arbeiten. Flächenscharfe Pflegekonzepte in Österreich zeigten gute Erfolge, wobei die Dynamik auf Weideflächen sehr groß sein kann. Mähwiesen sind dagegen stabiler und reagieren leichter prognostizierbar. Ganz entscheidend für den Naturschutzerfolg war der Düngeverzicht auf Grünlandflächen, eine moderate Beweidung und die Anbindung der Flächen an andere hochwertige Gebiete. Weideflächen mit Verbrachungen und einem mittleren Sukzessionsstadium zeigten sich insbesondere im alpinen Kontext als besonders artenreich, während bei einer zu intensiven Beweidung rasch eine Trivialisierung der Artengemeinschaften einsetzte. Insgesamt besteht weiterhin Bedarf bestehende Managementkonzepte zu optimieren und neue (alte) Techniken auszuprobieren. Ein spannender Ansatz ist die alpine Brandwirtschaft, der rechtliche Rahmen ist allerdings schwierig. Bei der Bewertung von Bekämpfungsmaßnahmen gegen Neophyten zeigten einige Studien unerwartete Ergebnisse: Teilweise waren die Neophytenbestände artenreicher als die frei gepflegten Folgeflächen. Auch hier besteht Forschungsbedarf. Eine gewisse Offenheit hinsichtlich neuer Bewertungsansätze wäre erfreulich. Naturnahe (fast) ganzjährige Beweidungssysteme auf größeren Flächen als Ausgleichsmaßnahme werden erstmals auch in Österreich erprobt. Es bleibt spannend deren Entwicklung zu verfolgen.
Exkursion zur ehemaligen Kiesgrube
Die Exkursion führte zur Kiesgrube der Kreisgruppe des BUND-Naturschutz Mühldorf/Inn bei Heldenstein. Nach der Beendigung des Kiesabbaus konnte der BUND Naturschutz die Grube dank einer Förderung durch den Bayerischen Naturschutzfonds erwerben. Sie steht inzwischen unter Naturschutz und ist Teil des FFH-Gebiets „Kammmolch-Habitate in den Landkreisen Mühldorf und Altötting (DE7842371)“. Seit 1999 wird die Fläche mit Rindern (Belted Galloways) beweidet, seit 2011 werden zusätzlich Ziegen (Tauernschecken und Toggenburger) eingesetzt. Projektpartner sind der Landkreis Mühldorf und die Autobahndirektion Südbayern, die zusätzliche Flächen einbringen. Mitglieder der Jagdgenossenschaft Heldenstein begannen 2017 mit der Wiederansiedlung des Rebhuhns im Projektgebiet. Die Tierhalter Familie Haslberger (Rinder; Lkr. Erding) und Tobias Tietje (Ziegen, Lkr. Mühldorf) stellen Weidetiere zur Verfügung. Die Optimierung von Lebensräumen wird von der Gerhard und Ellen Zeidler-Stiftung unterstützt. Viele ehrenamtliche Helfer und Zaunbetreuer sind seit Jahren in der Kiesgrube aktiv. Neben den Aktivitäten durch die Weidetiere wurde die Landschaft zusätzlich mit Strukturen angereichert, beispielsweise über verschiedene Materialhaufen für Reptilien. Die allmählich versiegenden Kleingewässer wurden durch Baumaßnahmen künstlich wiederhergestellt. Auch kleine Geländeanrisse für Wildbienen wurde geschaffen. Diese werden von den Rindern aktiv offen gehalten, indem sie sich an der entstandenen Wand scheuern. Eine weitere für Wildbienen entscheidende Hangabbruchkante entstand durch einen beliebten Pfad der Ziegen und wird auch durch sie dauerhaft erhalten.
Landschaft der ehemaligen Kiesgrube Mühldorf (Foto: Bernhard Hoiß, ANL)
Erhöhte Aktivitäten von Fledermäusen auf Weideflächen
Prof. Dr. Christoph Moning verdeutlichte, dass auch die Aktivitäten von Fledermäusen über und auf Weideflächen bis zu dreimal höher sind als über unbeweidetem Grünland. Es fanden sich mehr Arten und es wurden längere Rufsequenzen aufgezeichnet, weil die Tiere sich auf Nahrungssuche befanden. Grund dafür ist in erster Linie das erhöhte Aufkommen von Insekten, die als Nahrung dienen. Gerade für Nahrungsspezialisten wie die Große Hufeisennase dienen Dung- und Mistkäfer als wichtige Nahrung im Herbst. In diesem Zusammenhang kann sich der Einfluss von Entwurmungsmitteln (Antihelminthika) negativ auswirken. Beweidung hat auf Offenlandarten und strukturgebunden jagende Arten einen positiven ein Einfluss, wobei für strukturgebunden jagende Arten die Nähe zu Gewässern und Waldgebieten sowie Anschluss an lineare Gehölzstrukturen wichtig sind. Offene Buchenwälder, die von einigen Arten genutzt werden dienen im Grunde als Ersatzlebensräume für ehemals große, strukturreiche Offenlandgebiete. Interessant erscheinen in diesem Zusammenhang die Potentiale von Waldweiden, diese sind aber leider noch zu wenig systematisch untersucht.
Plädoyer für „Wildnisentwicklungsgebiete“
Der Ornithologe Dr. Dieter Haas berichtete in seinem abschließenden Beitrag von seinen jahrelangen Beobachtungen des Artenschwunds in der Avifauna Baden-Württembergs und zog vielfältige Schlüsse. Er lenkte den Blick auch auf die oftmals vergessene Rolle von Dung und Aas als (fast nicht mehr vorhandene) Nahrungsquelle für viele Tierarten. Viele Schutzgebiete könnten aufgewertet werden, wenn sie zu „Wildnisentwicklungsgebieten“ ausgebaut würden. Mit einem leidenschaftlichen Plädoyer sprach er sich für mehr großflächige, extensiv beweidete Gebiete aus. Der Blick über den Tellerrand zeige weltweit Gemeinschaften von Weidetieren und einer hohen Vielfalt von Vögeln. Bindeglied dieser Gemeinschaften sind die Insekten. Große beweidete Gebiete mit ihrer naturnahen Dynamik und Ökologie sollten auch in unserer Landschaft wieder selbstverständlicher werden.
Weiterführende Links und Literatur
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