Insektensterben: Arten weiterhin im freien Fall - Tagung am 23. Januar 2019 (05/19) in Freising
Kurzrückblick auf die Tagung „Insektensterben - InsektenVielfalt“
Gleich mehrere Studien bestätigen den radikalen Insektenschwund auf der jüngsten Tagung „Insekten sterben - InsektenVielfalt“ im Rahmen der Reihe „Naturschutz: Von der Forschung in die Praxis“, eine Kooperation der Hochschule Weihenstephan und der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL).
Ein ausführlicher Rückblick ist im Blog Naturschutz der ANLiegen Natur veröffentlicht.
Der dramatische Rückgang der Biomasse der fliegenden Insekten in Naturschutzgebieten Nordwestdeutschland (Quelle: Caspar Hallmann/Radboud-University).
Das Artensterben geht weiter
Sowohl in ihrer Menge (Biomasse), als auch in ihrer Artenzahl gehen unsere heimischen Insekten verloren. Besonders betroffen sind die Grünländer mit einem dramatischen Rückgang, aber auch im Wald ging die Insekten-Biomasse und die Artenvielfalt erheblich zurück, so Dr. Sebastian Seibold der Technischen Universität (TU) München. Er bestätigte somit die Ergebnisse seines Vorredners: Caspar Hallmann der Radboud-Universität Nimwegen (siehe Abschnitt unten).
Vielfältige Gründe für den Rückgang
Die Gründe sind vielfältig und in jedem Bereich zu finden, wie zum Beispiel Nährstoff- oder Pestizidbelastung durch die Landwirtschaft, Lebensraumzerstörung oder Licht als Falle für nachaktive Insekten. Es gibt nicht den „einen“ alles erklärenden Faktor, sondern eine Vielzahl von möglichen Gründen. Dadurch ist weitere Forschung unumgänglich, jedoch fehlt die Zeit – deshalb fordern die Wissenschaftler auch jetzt schon Handeln in der Praxis: Die Zerstörung beziehungsweise Veränderung von Lebensräumen muss gestoppt werden, Pufferzonen um Lebensräume sollten eingerichtet werden und die Wiederherstellung von nährstoffarmen, lichten Lebensräumen sind ein Weg. Insektenschutz kann nicht alleine in Schutzgebieten erfolgen, es braucht die „Matrix“ zwischen ihnen: Zwingend sind landwirtschaftliche Nutzflächen insektenfreundlicher zu gestalten und die ökologische Landwirtschaft zu fördern, so Prof. Ingolf Steffan-Dewenter der Universität Würzburg.
Insektenschutz braucht einen langen Atem
Wie unglaublich schwierig der Schutz einzelner Arten ist, zeigte Dr. Markus Bräu am Beispiel eines Schmetterlings, dem Moor-Wiesenvögelchen, dem wohl seltensten Schmetterling in Bayern. Erst nach 22 Jahren Forschung und Praxiserfahrungen zeigen sich erste Erfolge. Insektenschutz braucht also auch einen langen Atem.
Übergänge zwischen Lebensräumen schützen
Dr. Matthias Dolek zeigte am Beispiel des Thymian-Ameisenbläulings, dass Lebensraumübergänge zwischen Wald und Offenland extrem wichtig sind: Der europäisch geschützte Bläuling ist bislang als Magerrasenart bekannt, aber jüngste Untersuchungen zeigen, dass er einen zweiten Schwerpunkt in dem Grenzbereich zum Wald hat.
Strukturvielfalt im Wald
Lea Heidrich und Kostadin Georgiev promovieren an der Universität Würzburg im Bereich Waldnaturschutz. Während Herr Georgiev in einem weltweiten Vergleich die Wichtigkeit von Störungsereignissen wie Feuer und Windwürfen betonte und forderte, Naturschutzziele stärker zu flexibilisieren, um solche Ereignisse einzuplanen, zeigte Frau Heidrich, dass die Natur komplexer ist, als in ökologischen Theorien oft dargestellt: Sie prüft die Thesen von McArthur und MacArthur über die Arten-Arealbeziehung. So stellte sie bisher fest, dass die zunehmende Heterogenität in der Landschaft nicht immer automatisch zu einer Erhöhung der Artenvielfalt führt. Verschiedene Tiergruppen reagieren aufsteigende Heterogenität durchaus unterschiedlich – vor allem nicht vorhersagbar.
Mehr Naturflächen in Siedlungsbereichen
Die beiden Nachwuchs-Wissenschaftlerinnen Frau Nicole Reger und Frau Isabell Bablitschko präsentierten ihre Analyse über die Zwergfledermaus auf Landschaftsebene. Die Zwergfledermaus ist ein reiner Insektenfresser. Ihr Plädoyer lautet, vor allem in siedlungsnahen Bereichen insektenfreundliche Lebensräume anzubieten und neu zu schaffen.
Es hängt viel von Insekten ab: Beispiel Kiebitz
Den Abschluss der Tagung übernahm Prof. Christoph Moning mit einem Überblick über die Ansprüche von Kiebitzen in unserer Agrarlandschaft – hier sind vor allem die Küken stark auf Insekten angewiesen. Ein Rückgang der für Insekten wichtigen Strukturen in der Feldflur hat somit klare negative Auswirkungen für den Kiebitz. Er schloss mit einer Handlungsanweisung an die Praxis: Eine Checkliste für die Lenkung von Ausgleichsmaßnahmen und damit für den Schutz des Kiebitzes.
Der Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis wichtiger den je
Die Tagung war mit 250 Teilnehmern extrem gefragt. Es zeigt, wie wichtig dieses Format des Wissens-Transfers von der Forschung in die Praxis ist. Die zentralen Ergebnisse und Folgerungen für die Praxis werden im Februar in einem Artikel in der Zeitschrift ANLiegen Natur erscheinen: www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/meldungen/wordpress/
Die Tagung „Insekten sterben - InsektenVielfalt“ zog 250 Teilnehmer an (Foto: Wolfram Adelmann, ANL).
Caspar Hallmann von der Radboud-Universität Nimwegen (Foto: Wolfram Adelmann, ANL).
Titelfolie des Gastvortrages von Caspar Hallmann bei der Tagung.
Besonders dramatisch
Diese Entwicklung wurde innerhalb von Naturschutzgebieten gemessen. Dort wo wir eigentlich davon ausgehen, dass die Welt noch halbwegs in Ordnung sein sollte.
Caspar Hallmann wiederholte seine Forderung auf der jüngsten Tagung „Insekten sterben - InsektenVielfalt“ im Rahmen der Reihe „Naturschutz: Von der Forschung in die Praxis“: Wir müssen weiter forschen an dem „Warum“, aber gleichzeitig müssen wir Jetzt handeln mit dem was wir schon wissen. Für ihn gilt es eine Katastrophe zu verhindern – ohne Insekten gibt es keine lebenswerte Welt für den Menschen.
Wir müssen jetzt die Lebensräume schützen, unsere Landwirtschaft radikal verändern hin zu einer ökologischen Bewirtschaftung, so Caspar Hallmann. Aber es gibt auch Hoffnung: Insekten reproduzieren sich schnell, sodass auch Hoffnung besteht, dass sie sich wieder erholen können, wenn wir ihnen geeignete Lebensräume anbieten.
Weiterführende Links
- Ausführlicher Tagungsrückblick
- Interview mit Caspar Hallmann
- Originalveröffentlichung Hallmann et al. (2017): More than 75 percentdecline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas.
- Entomologische Verein Krefeld
- Hochschule Weihenstephan-Triesdorf
- Pressemitteilung der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf
- Schwerpunktjahr Insektenvielfalt an der ANL
Ansprechpartner
Dr. Wolfram Adelmann
Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL)
Fachbereich 2: Angewandte Forschung und Wissenstransfer
Seethalerstraße 6
83410 Laufen
Telefon +49 8682 8963-55
Prof. Dr. Christoph Moning
Zoologie, Tierökologie
Hochschule Weihenstephan-Triesdorf
Telefon +49 8161 71-2585
Fax +49 8161 71-5114
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