Abgeschlossenes Projekt - Ursachenanalyse zum großräumigen Rückgang des Hochmoorgelblings (Colias palaeno)
Ausgangssituation
Der Hochmoorgelbling (Colias palaeno) war in den Moorgebieten im bayerischen Alpenvorland bis vor kurzem noch regelmäßig vertreten. Seit einigen Jahren muss jedoch festgestellt werden, dass selbst ehemals gut besetzte Lebensräume verwaisen oder massive Einbrüche zu verzeichnen sind - beispielsweise bei der Indikatorerfassung des Landesamtes für Umwelt 2005 in den Mooren um Dietramszell und in den Kendlmühlfilzen. Eine zeitliche Einordnung der Rückgänge ist momentan noch nicht genau möglich, wobei für einige Gebiete (beispielsweise Raum Eggstätt-Hemhof oder Kendlmühlfilzen) die Abnahmetendenzen schon seit zirka 2002 zu beobachten sind.
Da bis jetzt keine offensichtlichen Lebensraumveränderungen zu verzeichnen sind, können die Rückgänge derzeit nicht schlüssig erklärt werden. Da jedoch vor allem tiefer gelegene Moore stärker betroffen zu sein scheinen, liegt zumindest der Verdacht nahe, dass klimatische Faktoren eine Rolle spielen. Darüber hinaus gibt es regionale Schwerpunkte dieses Rückgangs. So scheint beispielsweise das östliche Bayern (Landkreise Traunstein und Berchtesgadener Land) besonders stark betroffen zu sein.
Aufgrund dieser alarmierenden Situation besteht dringender Handlungsbedarf, die Rückgangsursachen zu analysieren und ein detailliertes Bild der Gefährdungssituation des Hochmoorgelblings zu erstellen. Zu diesem Zweck wurde von der Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) 2007 ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das in enger Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Umwelt (LfU) diesen Fragen nachgeht. Kernziel ist es, auf Grundlage der Ursachenanalyse Managementstrategien zum Erhalt des Hochmoorgelblings in Bayern zu entwickeln. Da sich schnell gezeigt hat, dass komplexe Veränderungen im gesamten Ökosystem hinter den Rückgängen des Hochmoorgelblings stehen könnten, wurde seit 2010 eine enge Zusammenarbeit mit der Universität Regensburg, Institut für Botanik (Prof. Dr. Poschlod), aufgebaut. Zusätzlich wurde auch eine Forschungskooperation mit einigen Nachbarländern aufgebaut (vor allem Tschechien und Italien).
Ein Falter des Hochmoorgelblings.
Foto: Markus Bräu
Frisch abgelegte Eier sind gelblich, ältere Eier verfärben sich rot.
Foto: Büro Geyer und Dolek
Eine soeben geschlüpfte Raupe des Hochmoorgelblings, im Hintergrund die leere Eihülle.
Foto: Büro Geyer und Dolek
Im Gegensatz zum ersten Larvenstadium haben ältere Raupen eine grüne Kopfkapsel.
Foto: Büro Geyer und Dolek
Mögliche Rückgangsursachen
Zur Erklärung des Rückgangs wurden verschiedene Hypothesen erstellt, die im Rahmen des Forschungsprojekts näher untersucht werden:
1. Klimawandel
Extreme Wetterereignisse (Hitze- und Trockenperioden) und Klimawandel (eher ozeanisch getönte Winter) könnten besonders bei der Überwinterung (zu feucht, aufgrund fehlenden Frosts) und bei der Jungraupenentwicklung (zu lufttrocken, aufgrund fehlender Niederschläge) zu einem Einbruch der Population des Hochmoorgelblings führen.
2. Allgemeine Entwässerung und Austrocknungseffekt
Störungen im Wasserhaushalt durch Entwässerungen sind in den Moorgebieten des bayerischen Alpenvorlandes weit verbreitet. Kurzfristig profitiert die Raupenfutterpflanze des Hochmoorgelblings davon, so dass vorübergehend gute Entwicklungsbedingungen entstehen können. Mittel- bis langfristig hat die Austrocknung jedoch negative Wirkungen und kann zu starken Rückgängen führen. Dieser seit längerem erkannte Gefährdungsfaktor vermag jedoch den vermeintlich simultanen Rückgang innerhalb weniger Jahre in sehr vielen Mooren alleine nicht erklären.
3. Habitatänderung und Verbuschung mit Nährstoffeintrag
Insbesondere der Nährstoffeintrag durch Luft und Wasser kann zu Habitatänderungen und dem Aufkommen von Gehölzen führen, die die Biotope als Lebensraum untauglich machen. Offensichtliche größere Veränderungen sind bekannt und oft beobachtbar, hier müssten es jedoch weniger deutliche Effekte sein, da an den Standorten keine Veränderungen direkt erkennbar sind.
4. Nutzungsänderung
Auch die Moore unterliegen einer ständigen Nutzung durch den Menschen und einem Nutzungswandel, der eventuell erst langfristig zu beobachtbaren Effekten führt.
5. Strukturveränderungen an Raupennahrung und Umfeld
Schon unauffällige Veränderungen an den Rauschbeeren, der umgebenden Vegetation und des Untergrundes sowie der Moosschicht könnten für den Hochmoorgelbling von größter Bedeutung sein. Höhere und ältere Pflanzen oder eine veränderte Vitalität kann die Eignung als Raupennahrung beeinflussen. Als Auslöser hierfür kommen wiederum die genannten Faktoren beziehungsweise deren Zusammenwirken in Betracht. Auch die Art des Untergrundes kann für die Überwinterung von Bedeutung sein, da sich beispielsweise offener Torfboden erheblich stärker aufheizt als eine Torfmoosdecke.
6. Krankheiten und Parasiten- beziehungsweise Parasitoidenbefall
Die Einführung neuer Krankheiten sowie von Parasiten, Parasitoiden und Räubern oder die Förderung bereits vorhandener negativer Rahmenbedingungen muss als möglicher Auslöser des Rückgangs untersucht werden.
7. Zusammenbruch des Biotop-/Populationsverbundes und Isolation
Häufig können Einzelpopulationen nur im Biotopverbund überleben (Metapopulationstheorie). Bei zunehmender Isolation kann es zu einem plötzlichen Zusammenbruch der verbliebenen (Rest-) Populationen kommen. Auch Effekte der genetischen Verarmung sind in diesem Zusammenhang denkbar.
8. Kombinationswirkungen der Hypothesen 1 bis 7
Viele der oben aufgeführten Hypothesen können sich gegenseitig bedingen und dadurch in ihrer Wirkung verstärken. Zum Beispiel kann der Klimawandel (Hypothese 1) zu Strukturveränderungen an der Raupennahrung (Hypothese 5) oder zu einer Zunahme und Ausbreitung von Parasiten (Hypothese 6) führen. Zahlreiche weitere Kombinationen sind denkbar.
Projektinhalte
1) Biologie und Habitatnutzung: Um sich diesen verschiedenen Erklärungsansätzen nähern zu können, wurde eine exakte Erfassung der Biologie und der Habitatnutzung des Hochmoorgelblings begonnen. Weibchen wurden bei der Eiablage beobachtet und es wurden Eier und Jungraupen gesucht, um die Bedingungen exakt definieren zu können (Erstellung eines Habitatprofils). Wichtige Parameter, die an Eiablagestellen erhoben wurden, sind zum Beispiel:
- Mikrobeschreibung des Eiablageortes: Höhe über dem Boden beziehungsweise der Vegetation, wo an der Pflanze, Exposition
- Beschreibung der Pflanze: Typ der Pflanze (Vergreisung?), Lage im Rauschbeeren-Bestand, Windschutz, Exposition
- Beschreibung der direkten Umgebung: Boden/Überwinterungssubstrat, mögliche Schneedecke, Moos-Zwergstrauchschicht, Pfeifengras, Latschennähe (Exposition, Größe)
Die Untersuchungen erfolgten sowohl an Standorten, die noch vitale und individuenreiche Populationen aufwiesen, als auch an Standorten, an denen massive Rückgänge zu verzeichnen waren, die Art jedoch noch nachgewiesen werden konnte. Es stellte sich jedoch heraus, dass auch an den zunächst als gut besiedelt eingestuften Standorten der Hochmoorgelbling aktuell starke Populationsrückgänge zu verzeichnen hatte.
2) Eier und Jungraupen: Die autökologischen Datenerhebungen an Eiern und Jungraupen erfolgten mit dem Ziel, Aussagen über die Mortalität der Hochmoorgelbling-Raupen und den Einfluss möglicher Konkurrenten sowie der Vitalität der Rauschbeeren-Bestände zu erhalten. Zu diesem Zweck wurde die Entwicklung der Jungraupen durch mehrfaches Aufsuchen der Fundstellen über den Sommer hin verfolgt, wobei weitere Parameter, wie beispielsweise das Vorkommen von möglichen Konkurrenten, aufgenommen wurden.
3) Raupen: Die Bachtung von Raupen wurde auf die Zeit nach der Überwinterung erweitert. Dazu wurden die im Sommer/Herbst eines Jahres markierten Raupen im Frühjahr des Folgejahres nachkontrolliert, so dass erstmals ein vollständiger Lebenszyklus beschrieben werden kann.
4) Mikroklima: Um den Einfluss des Mikroklimas näher zu untersuchen, wurden Temperatur- und Feuchtemessgeräte (Datalogger) eingesetzt und an unterschiedlichen Raupenfundstellen ausgebracht.
5) Analyse der Verbreitung: Die bei zwei Erfassungskampagnen von H. Anwander gewonnenen Verbreitungsdaten zu Beginn der 1990er Jahre und aus den Jahren 2006 bis 2008 wurden analysiert. Über den Vergleich der älteren mit den aktuellen Erfassungen sollte versucht werden, die Situation der Rückgänge zu beschreiben.
6) Rauschbeere: Rauschbeeren-Bestände mit hoher und niedriger Überlebensrate der Raupen unterscheiden sich in vielen Faktoren. Weitere Untersuchungen sind im Gange, um den letztendlichen Mortalitätsfaktor heraus zu arbeiten. Die Qualitätskriterien der Rauschbeeren-Bestände aus Sicht des Hochmoorgelblings wurden genutzt, um zu prüfen ob das Fortbestehen beziehungsweise Erlöschen der Vorkommen erklärbar ist.
7) Abstimmung auf Wiedervernässung: In einigen Mooren, die zur Renaturierung anstehen (beispielsweise im Rahmen der Allgäuer Moorallianz oder dem Bayerischen Klimaprogramm 2020) wurden die Ressourcenverteilung und ihre Qualität erfasst, um die Wiedervernässung möglichst auf die Ansprüche des Hochmoorgelblings abzustimmen.
8) Gesamtveränderungen: Da auch wesentliche Unterschiede im Gesamtökosystem "Hochmoor" mit den Mortalitätsunterschieden verbunden sind, wurde begonnen zu prüfen, ob die Rückgänge des Hochmoorgelblings nur erste Anzeichen einer größeren Veränderung sind.
Der Lebensraum des Hochmoorgelblings.
Foto: Büro Geyer und Dolek
Das Ei wird typischerweise an der Triebspitze der Rauschbeere abgelegt.
Foto: Büro Geyer und Dolek
Eine junge Raupe des Hochmoorgelblings frisst nach dem Schlupf die leere Eihülle.
Foto: Büro Geyer und Dolek
Eine Raupe in der typischen Ruheposition. Erkennbar sind die Fraßspuren (Fensterfraß).
Foto: Büro Geyer und Dolek
Ergebnisse
Struktur der Eiablagestellen
Bei der Eiablage setzen sich Weibchen gerne dort in einen Rauschbeeren-Bestand, wo sich möglichst ausgeprägte Stufen im Bestand befinden, beispielsweise an Kanten von Bulten. Auch werden, sofern vorhanden, gerne Einzelpflanzen oder lockere Pflanzenverbände belegt, dichtere Pflanzenverbände werden nur selten genutzt. Die Eiablage erfolgt bevorzugt auf die Oberseite senkrecht stehender Blätter der Triebspitzen. Eine Bevorzugung einer bestimmten Exposition konnte dabei nicht beobachtet werden. Alle Eiablagestellen waren nicht oder nur gering bis mäßig beschattet. Bedeutsam für die Eiablage ist, dass die Rauschbeere in ausreichend feuchten Bereichen wächst, das heißt die Bodendeckung unterhalb der belegten Pflanzen selten von Streu oder Heidekraut, sondern meist von Torfmoosen geprägt war.
Verhaltensbeobachtungen der Raupen
In der Regel halten sich die Raupen auf der Blattoberseite auf. Die typische Ruheposition ist entlang der Blattmittelrippe mit dem Kopf nach unten zur Blattbasis. Wenn die Raupen fressen, drehen sie sich um, der Kopf zeigt dann zur Blattspitze oder zum Blattrand. Typischerweise erfolgt ein Fensterfraß, das heißt das Blatt wird nicht vollständig gefressen, sondern es bleibt eine pergamentartige Struktur übrig.
Filmaufnahmen der Entwicklung
Die verschiedenen Entwicklungsstadien und Verhaltssequenzen konnten durch ein externes Filmteam dokumentiert werden. Sie stehen dauerhaft auf den ANL- Seiten zur Ansicht bereit. Mehr ...
Sterblichkeit der Eier und Jungraupen und ihre Ursachen
Die beobachtete Mortalität war extrem hoch. Einige gefundene Eier waren bereits am nächsten Tag verschwunden. Andere wiesen deutliche Spuren einer Parasitierung auf, wie beispielsweise silbrig-schwarze Eier mit Loch in der Eihülle. Auch viele der Raupen konnten oft nicht mehr entdeckt werden. Zwei beim Schlupf beobachtete Raupen waren bereits am nächsten Tag nicht mehr auffindbar.
Die Überlebensrate vom Ei bis zur Raupe im dritten Larvalstadium betrug im Mittel über vier Standorte und zwei Untersuchungsjahre lediglich 13%. Je nachdem wie hoch die weitere Mortalität während der Überwinterung und der Frühjahrsentwicklung ist, kann dies eine kritische Sterblichkeitsrate sein. So konnten beispielsweise an den im Sommer 2007 markierten Stellen mit Raupenfunden im Frühjahr 2008 keine Raupen mehr nachgewiesen werden.
Auffallend war die Häufung der bis zum dritten Larvalstadium überlebenden Raupen über feuchter Bodenvegetation mit Torfmoosen und Moos. Es zeigte sich ein Zusammenhang mit dem Feuchtigkeitshaushalt der Standorte, wobei unter feuchteren Standortbedingungen die Mortalität signifikant geringer war. Auch die Eier wurden fast vier Mal häufiger in feuchten als in trockeneren Bereichen abgelegt.
Die untersuchten Standorte unterschieden sich bei einer insgesamt sehr hohen Sterblichkeit der Jungraupen: Wo die Rauschbeeren in niedrigen und vereinzelten Pflanzenbeständen mehrheitlich über Torfmoosen wachsen, war die Mortalität am niedrigsten. An Standorten mit weniger Torfmoosen im Bereich der Eiablagestellen (und anderen Moosen oder vor allem Streudeckung) wuchsen die Rauschbeeren höher und in dichteren Beständen. Dort erfolgte die Eiablage eher in Randlagen und die Überlebensrate der Jungraupen war geringer. An zwei solchen schlechteren Standorten konnte 2008 das Erlöschen der Population direkt mitverfolgt werden.
Damit ergeben sich bereits deutliche Hinweise auf strukturelle und mikroklimatische Unterschiede zwischen den Standorten, die eine Beziehung zur Mortalität der Jungraupen haben. Die Bedeutung dieser Zusammenhänge war bisher nicht erkannt beziehungsweise massiv unterschätzt worden.
Eiparasitoide als Mortalitätsfaktor: hier das seitliche Ausschlupfloch einer Schlupfwespe.
Foto: Büro Geyer und Dolek
Die minierende Raupe eines weiteren Schmetterlings, der ebenfalls an Rauschbeere frisst.
Foto: Büro Geyer und Dolek
Bedeutung der Vitalität der Rauschbeeren
Sowohl Triebzuwachs als auch Blattgröße waren als Parameter erhoben worden, die die Wüchsigkeit und damit die Vitalität der Pflanze beschreiben sollen. Die Vitalität wiederum sollte sowohl von den Standortbedingungen (Feuchtehaushalt) als auch vom Zustand der Pflanze (Alter) abhängen. Bei der Rauschbeere sind jedoch aufgrund der Wuchsform Einzelindividuen und Alter der Pflanze schwer bestimmbar, ein stärkeres Wachstum bei trockener werdenden Bedingungen ist jedoch bekannt.
Das Überleben der Raupen des Hochmoorgelblings wird vom Triebzuwachs beeinflusst: Bei geringem Triebzuwachs überlebten signifikant mehr Individuen. Jedoch wurde kein Zusammenhang zwischen dem Triebzuwachs und Bodendeckung beziehungsweise -feuchte festgestellt. Dies liegt wahrscheinlich an der Art der Datenaufnahme, da nur die Eiablagestellen aufgenommen wurden.
Ein Einfluss der Blattgröße auf das Überleben der Raupen konnte nicht festgestellt werden. Allerdings werden auch die Blätter mit zunehmendem Triebzuwachs signifikant größer.
Einfluss von Konkurrenten
An einem Moor war im Lauf der Sommer 2007 und 2008 das Auftreten des Wicklers Rhopobota myrtillana (Familie Tortricidae) an der Rauschbeere sehr auffällig. Die Art spinnt mehrere Blätter an den Triebspitzen zusammen und lebt darin in einem Gespinst. Daneben treten eine Reihe weiterer, unbestimmter phytophager Konkurrenten auf. Das Überleben der Raupen war jedoch nicht abhängig vom Vorkommen des Wicklers, auch wenn er auf demselben Blatt wie die Hochmoorgelbling-Raupen gefunden wurde. Dagegen wurde die Überlebensrate des Hochmoorgelblings signifikant negativ beeinflusst, wenn an demselben oder an benachbarten Rauschbeer-Trieben phytophage Konkurrenten (alle Arten, inklusive des Wicklers) vorhanden waren. Die Betrachtung aller Konkurrenten zusammen zeigt, dass bei Abwesenheit von Konkurrenz die Raupen häufiger überleben. Auffallenderweise kamen Konkurrenten eher über trockenem Boden vor. Besonders häufig waren Konkurrenten über Besenheide und am seltensten über Moos.
Der Wickler Rhopobota myrtillana kann ein starker Konkurrent für den Hochmoorgelbling werden.
Foto: Büro Geyer und Dolek
Fraßspuren und Gespinst des Wicklers Rhopobota myrtillana, eines Konkurrenten des Hochmoorgelblings.
Foto: Büro Geyer und Dolek
Mikroklimamessungen
Am Tage war es im Aufenthaltsbereich der überlebenden Raupen eher gemäßigt, das heißt die Temperaturen erreichten nicht solche Spitzenwerte, wie in Rauschbeer-Bereichen, wo die Raupen nicht überlebten. In der Nacht dagegen war es bei den überlebenden Raupen signifikant (rund 3 °C) wärmer. Am Tage gab es bezüglich der Luftfeuchtigkeit keinen deutlichen Befund, dennoch trocknete es am Vormittag in den „guten“ Bereichen schneller ab und besonders an sehr heißen Tagen sank am Mittag/Nachmittag die Luftfeuchtigkeit eher nicht so stark ab. In der Nacht war es in den „guten“ Bereichen im Mittel und vor allem in Bezug auf den Minimalwert signifikant trockener. Das heißt die Zeitspanne, in der die Temperatur am Taupunkt lag (100 % relative Luftfeuchtigkeit), war in den optimalen Moorbereichen signifikant kürzer. Die relative Luftfeuchte bewegte sich jedoch bei allen Standorten auf sehr hohem Niveau.
Auch ein Höhenprofil der Mikroklimadaten liefert ein besseres Verständnis dafür, warum der bevorzugte Aufenthaltsbereich der Raupen rund 20 cm über dem Boden ist. Hier herrschen für die Raupen die besten mikroklimatischen Verhältnisse, wobei bereits bei einem Vergleich optimaler mit suboptimalen Moorbereichen Unterschiede festgestellt werden konnten.
Somit unterliegt eine Raupe des Hochmoorgelblings einer Reihe von Zwängen: Zum einen sollte sie sich weder zu nah am Boden (wo es generell zu feucht und kühl ist) noch zu weit über dem Boden aufhalten, denn auch hier ist es zumindest tagsüber feuchter und kühler als im optimalen Bereich 20-30 cm über Boden. Zum anderen muss sich die Raupe aus Ernährungsgründen am Rand der Pflanze im Bereich der jungen Blätter aufhalten. Damit ist, wie wir auch zeigen konnten, ihr Aufenthaltsbereich abhängig von der Größe der Pflanze, wobei die Rauschbeeren in trockeneren Bereichen signifikant größer als in den feuchteren Bereichen werden. Dies bedeutet, dass in den trockenen Bereichen die Rauschbeeren aus den für die Raupen optimalen Aufenthaltsbereichen herauswachsen können.
Beobachtung des Verhaltens überwinternder Raupen
Nicht nur die beobachtete Art der Überwinterung, sondern auch der Beginn der Überwinterung unterscheidet sich von älteren Angaben, wonach sich die bis dahin sechs (bis höchstens neun) mm großen Raupen erst Anfang Oktober zur Überwinterung am Blatt festspinnen. Im bayerischen Alpenvorland entwickeln sich die Raupen dagegen wesentlich schneller und wandern bereits im August mit einer Größe von im Mittel 7 mm zur Überwinterung ab. Die schnellere Entwicklung könnte beispielsweise durch wüchsigere Rauschbeeren, einen früheren Beginn der Wachstumsperiode oder höhere Temperaturen begünstigt werden. Unklar ist, inwieweit die Mortalität während der Überwinterung durch das frühere Abwandern bereits im Hochsommer beeinflusst wird.
Auch die Untersuchungen in den italienischen Alpen ergaben, dass die Raupen den Winter über auf den Pflanzen verblieben.
Sterblichkeit bei der Überwinterung
Wie bereits bei der Entwicklung vom Ei bis zur überwinternden Raupe ergaben sich auch bei der Überwinterung sehr hohe Mortalitätsraten: In Holzleuten überlebten 81% der Raupen den Winter nicht, in der Jachenau waren es sogar 92%. Die bisherigen Ergebnisse zeigten deutlich Zusammenhänge zwischen Bodenbeschaffenheit und Überleben der Raupen. Wo Torfmoose den Boden unterhalb der Raupenfundstellen bedeckten, war die Überlebenschance sowohl im Sommer als auch über den Winter erhöht.
Verschiedene Autoren vermuten, dass die Schneedecke die Raupen vor Frost und Austrocknung schützt und die Höhe der Schneedecke die Abundanz der Falter im nächsten Jahr bestimmt. Somit geht eine potenzielle Gefährdung der Art sicherlich auch von der Klimaveränderung aus, die sich durch mildere und dadurch regenreichere Winter negativ auf die Art auswirkt. Möglicherweise ist auch fehlende Winterkälte und dadurch stark begünstigte Schimmelbildung eine mögliche Ursache. Durch die Analyse der beiden Erfassungskampagnen von H. Anwander (siehe unten) wurde ein starker Einfluss der Höhenlage auf das Aussterberisiko deutlich. Die niedriger gelegenen Standorte hatten ein besonders hohes Aussterberisiko. Dies legt eine gewisse Bedeutung von klimatischen Faktoren nahe.
Winterliche Mikroklima-Messungen zeigten, dass eine Schneedecke einen Schutz vor tiefen Minustemperaturen bietet. Da der Hochmoorgelbling jedoch -26°C ertragen kann, scheint ein Frostschutz nicht so bedeutsam zu sein.
Beobachtungen im Frühjahr
Die beobachtete Mortalität im Frühjahr ist gering. Nur an einem Standort bei Holzleuten starben zwei der 14 gefundenen überwinterten Raupen (14%). An allen Fundpunkten mit überlebenden Raupen wurde intensiv nach Puppen und Verpuppungsplätzen gesucht. Nur in einem Fall war dies erfolgreich: Die Puppe befand sich gut getarnt zwischen dicht wachsenden Rauschbeerzweigen und konnte nur durch Auseinanderbiegen der Rauschbeerzweige gefunden werden.
Zusammenfassung: Überlebensraten und "Life table"
Einen zusammenfassenden Überblick über die beobachteten Überlebensraten gibt die Lebenstafel („life table“). Mit den real beobachteten Überlebensraten wurde berechnet, wie viele Eier ein Weibchen legen müsste, damit nach einem Entwicklungszyklus zwei Falter überleben (die Population also in ihrer Bestandsgröße erhalten bliebe). Die Überlebensrate während der Puppenphase ist nicht bekannt und wurde als 100% angenommen. Anhand des über die Jahre gewonnenen Datensatzes lassen sich Lebenstafeln erstellen. Die Mortalität der Präimaginalstadien ist sehr hoch, liegt jedoch in vergleichbaren Bereichen zu den Angaben, die zu einer verwandten Gelblings-Art (C. alexandra) veröffentlicht wurden. Vom Ei bis zur verpuppungsreifen Raupe beträgt die Überlebensrate im Mittel über die Standorte zirka 1,5%. Unter feuchten Bedingungen liegt die Überlebensrate (je nach Ansatz) zwischen 3,2 bis 4,8%, in trockeneren Bereichen dagegen nur bei 1% bis 0,4%.
Lebenstafel des Hochmoorgelblings. Die Übersicht stellt die verschiedenen Lebensstadien des Hochmoorgelblings dar. Die schwarzen Zahlen markieren die Individuenzahlen, die roten Pfeile die prozentualen Verluste von Individuen zwischen den Stadien.
Quelle: Dr. Matthias Dolek (2011): Ursachenanalyse Hochmoorgelbling.- Unveröff. Gutachten.
Der Vergleich mit dem möglichen Eivorrat eines Weibchens (nach Bink: maximal 150 Eier) macht deutlich, dass unter trockeneren Bedingungen eine Population nicht überleben kann, da ein Weibchen hier zwischen 209 bis 541 Eier legen müsste! Unter feuchteren Bedingungen kann ein Weibchen eine Population jedoch erfolgreich erhalten, wenn es 41 bis 63 Eier ablegt.
Auswertung der beiden Erfassungskampagnen von H. Anwander aus 1990-1992 und 2006-2008
Die Auswertung der beiden Erfassungskampagnen konnte folgende Rückgangsursachen aufzeigen. Insbesondere in tieferen Lagen (unter 800m) war der Biotopverbund von Bedeutung. Er wurde durch die Entfernung zur nächsten Population und die Anzahl von Populationen im Umkreis von 2 km beziehungsweise von 6 km beschrieben. In allen drei Fällen hatten die Populationen eine bessere Überlebenschance, wenn der Biotopverbund besser war. In höheren Lagen (über 800m) war die Größe des Einzelbiotops von Bedeutung: Wenn der Standort groß war, hatte die Population eine größere Überlebenschance. Der Versuch, die Habitatqualität in diese Analysen einzubeziehen, scheiterte, da diese Daten zu wenig systematisch erhoben worden waren. Für den derzeitigen Zusammenbruch der Populationen dürften Biotopverbund und Biotopgröße jedoch nur modulierende Wirkung auf das Aussterberisiko haben.
Karte von Südbayern mit Punktnachweisen des Hochmoorgelblings. Anfang der 1990er Jahre wurde der Hochmoorgebling an 228 Standorten nachgewiesen. Aktuell konnte die Art nur noch an 120 Flächen (53%; rote Punkte) nachgewiesen werden, fast die Hälfte der untersuchten Fundorte war nicht mehr besiedelt (gelbe Punkte).
Quelle: Hubert Anwander
Ausblick
Schon zu Beginn der Arbeiten konnten überraschende Zusammenhänge aufgezeigt werden. Colias palaeno, ein typischer Vertreter der heimischen Hochmoore, ist offensichtlich sehr anspruchsvoll bei der Wahl der Reproduktionshabitate. Die Daten geben Hinweise auf Effekte von Höhenlage, Biotopverbund, Biotopgröße, Feuchtehaushalt, Vegetationsstruktur, Pflanzenvitalität und Konkurrenten.
Inwieweit die aktuellen Bestandseinbußen mit den eingangs genannten Hypothesen, insbesondere mit dem Klimawandel in Zusammenhang gebracht werden können, muss noch aufgedeckt werden.
Für den Schutz des Hochmoorgelblings deuten die bisherigen Ergebnisse an, dass nur intakte Moore einen geeigneten Lebensraum darstellen. Anhand des Vergleichs der untersuchten Standorte mit bereits degradierten Mooren wurde deutlich, dass die Habitatqualität vieler Vorkommen überschätzt wurde. Nach den bisherigen Kenntnissen der Habitatansprüche von C. palaeno, wird bei einem vermeintlich optimalen Vorkommen von offenen, gut besonnten und großen Rauschbeerenbeständen nicht sofort ersichtlich, dass die Feuchtigkeits- und Strukturverhältnisse bereits suboptimale oder pessimale Bedingungen erreicht haben. Wahrscheinlich fällt die Art an vermeintlich geeigneten Standorten viel früher aus als bisher angenommen, da als Verschlechterung der Habitatqualität bisher erst eine zunehmende Verbuschung angenommen wurde, aber wohl bereits viel früher und durch weniger deutliche Veränderungen eintritt.
Bearbeiter:
Dr. Matthias DolekBüro Geyer & Dolek
Obere Dorfstraße 16
82237 Wörthsee
Telefon: +49 8143 991160
matthias.dolek@Geyer-und-Dolek.de
Weitergehende Informationen
Interne Links
Bildung und Forschung sind die Aufgaben der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) in Laufen. Die Akademie wurde 1976 eingerichtet und gehört zum Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz.
Videos
Die ANL stellt sich vor
Der Film beschreibt die vielfältigen Tätigkeiten der Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege.
Links
- Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV)
- Bayerisches Landesamt für Umwelt (LfU)
- Nationalpark Berchtesgaden
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- AG Fachreferenten Naturschutz (agn)