Forschungsprojekt - Naturschutz im Wald: Kleinräumige Windwürfe aufräumen oder belassen?
Belassener Windwurf im Nationalpark Bayerischer Wald.
Foto: Dr. Wolfram Adelmann (ANL)
Im Mittelpunkt des Forschungsprojektes „Analyse der Unterschiede zwischen geräumten und belassenen Windwürfen am Beispielgebiet des Nationalparkes Bayerischer Wald als Grundlage für Empfehlungen für ein naturschutzfachliches Waldmanagement“ steht die multivariate Auswertung einer Datenbank von Ergebnissen aus 24 Jahren Dauerbeobachtung von sechs Untersuchungsflächen im Vergleich zur aktuellen Vegetationsentwicklung (Gefäßpflanzen und Moose) in verschiedenen Höhenlagen des Bayerischen Waldes. Das Projekt lief zwischen Februar 2013 und September 2014. Ergebnisse konnten 2016 international veröffentlicht werden.
Forschungsziele im Detail:
Die in der Verantwortung des Instituts für Ökologie an der Universität Jena und des Instituts für Botanik an der Universität Regensburg durchzuführenden Arbeiten dienten dem Erreichen folgender Ziele:
1. Erkennen von floristischen und strukturellen Unterschieden zwischen geräumten und belassenen Windwürfen
Der Schwerpunkt liegt auf der Zusammensetzung der Vegetation und der vertikalen Strukturierung der Bestände. Von besonderem Interesse ist es, potenzielle Vorteile der nach Windwurf belassenen Bestände in Hinblick auf die Bestandesstabilität/-entwicklung zu erkennen, um naturschutzfachliche und forstwirtschaftliche Belange synergetisch kombinieren zu können.
Diese Erkenntnisse werden mit Bezug zu Managementempfehlungen in Schutzwäldern diskutiert und dem angewandten Naturschutz in Form von Veröffentlichungen beziehungsweise im Veranstaltungsprogramm der ANL zugänglich gemacht.
2. Detailliertere Analyse der den Unterschieden im Management sowie im Höhengradienten zugrunde liegenden Prozesse der Vegetationsanpassung
Hierbei werden sowohl Gefäßpflanzen als auch Moose betrachtet. Ziel ist es zu erkennen, ob unberührte Windwürfe zu einer vielfältigeren Artenzusammensetzung führen. Es wird untersucht, welche Arten unter welchen Umweltbedingungen im Windwurftransekt ihren Vorkommensschwerpunkt haben. Lassen sich Anpassungsstrategien (bestimmte Merkmalsausstattungen) an bestimmte Umweltbedingungen finden? Diese Erkenntnis kann genutzt werden, potenziell vorkommende, seltene Arten effektiver zu fördern, da funktionelle Merkmalsanalysen Rückschlüsse beispielsweise auf die Konkurrenzstärke, oder die Ausbreitungsfähigkeit erlaubt. Bei diesen Analysen wird ein Schwerpunkt auf Moosen liegen, da in dieser Organismengruppe im Vergleich zu den Gefäßpflanzen die höhere Biodiversität zu erwarten ist.
Untersuchungsgebiet
Sechs Windwurftransekte in den Hauptwaldgesellschaften des Nationalparks Bayerischer Wald. Pro Höhenstufe existiert ein geräumtes Transekt (Totholz entfernt) und ein belassenes Transekt. Es existieren Dauerbeobachtungsflächen seit 1988, eingerichtet nach Windwürfen Mitte der 1980er-Jahre. Die Transekte sind unterteilt in 10x10 m große Probequadrate, die einen Gradienten aus dem ungestörten Bestand durch den Windwurf wieder in den ungestörten Bestand abdecken.
Ergebnisse
Totholzräumung nach Windwurf widerspricht dem Gedanken des Prozessschutzes und führt zur Reduktion der Artenvielfalt. Nicht geräumte Windwürfe weisen eine deutlich erhöhte Artenvielfalt für verschiedene Artengruppen auf. Die Ergebnisse einer Langzeitstudie, erschienen 2016 in der Zeitschrift Ecology Letters (THORN et al. 2016), zeigen deutliche Unterschiede im direkten Vergleich zwischen belassenen und aufgeräumten Windwürfen.
Es konnte gezeigt werden, dass die Artenzahl von Holzkäfern, Holzpilzen und holzbewohnenden Flechten auf geräumten Flächen drastisch reduziert war. Dies ist darauf zurückzuführen, dass diesen Organismengruppen durch die Räumung die Lebensgrundlage, also hier das Totholz, entzogen wurde. Wie erwartet, hat sich das Entfernen des Totholzes nicht auf die Artenzahl der totholzunabhängigen Organismengruppen Gefäßpflanzen, Vögel, Moose und Flechten auf dem Boden ausgewirkt. Allerdings ist hier interessant, dass es auch bei Pflanzen und Vögeln, die weniger auf Totholz angewiesen sind, deutliche Verschiebungen in der Artenzusammensetzung gab – es gibt also nicht weniger Arten, dafür aber andere Arten. Beispielsweise werden geräumte Flächen von Offenlandarten wie dem Wiesepieper besiedelt, statt von Arten der natürlichen Windwurfflächen wie dem Gartenrotschwanz.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich bei totholzabhängigen Organismengruppen durch die Räumung sowohl Artenvielfalt als auch Artenzusammensetzung verändern, hierbei ist die Reduzierung der Nahrungsgrundlage/des Siedlungsraums entscheidend. Dagegen gibt es bei nicht totholzabhängigen Organismengruppen Veränderungen in der Artenzusammensetzung. Hierfür sind vor allem Umweltveränderungen (zum Beispiel erhöhte Einstrahlung, höhere Bodentemperatur), unter anderem ausgelöst durch die mechanische Belastung bei der Räumung, als Grund zu nennen. Es konnte gezeigt werden, dass das Räumen von Fichtenwindwürfen deutlich in die Entwicklung von Artgemeinschaften eingreift. Damit widerspricht das Räumen fundamental dem Gedanken des Prozessschutzes und es sollten zumindest Windwürfe in Schutzgebieten von Räumungshieben ausgenommen werden.
Detaillierte Ergebnisse sind in der internationalen Veröffentlichung nachzulesen:
Thorn, S., Bässler, C., Bernhardt-Römermann, M., Cadotte, M., Heibl, C., Schäfer, H., Seibold, S. & Müller, J. (2016): Changes in the dominant assembly mechanism drives species loss caused by declining resources. – Ecology Letters 19: 163–170.
Eine Kurzfassung ist zudem in der ANLiegen Natur 38(1) 2016 erschienen: mehr.
Ausblick
Die vorliegenden Daten werden auch in den kommenden Jahren weiter detailliert analysiert und ausgewertet. Noch ist der Fundus der Landzeitstudie nicht ausgeschöpft. Wir sind gespannt auf die Zukunft.
Ansprechpartner an der ANL:
Dr. Wolfram Adelmann
Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL)
Fachbereich 2: Angewandte Forschung und Wissenstransfer
Seethalerstraße 6
83410 Laufen
Telefon +49 8682 8963-55
Bearbeiter:
Dr. Markus Bernhardt-RömermannUniversität Regensburg
Institut für Botanik
Universitätsstraße 31
93053 Regensburg
Markus.Bernhardt@biologie.uni-regensburg.de
Ansprechpartner an der Universität Regensburg:
Universität Regensburg
Prof. Dr. Peter Poschlod
Institut für Botanik
Universitätsstraße 31
93053 Regensburg
peter.poschlod@ur.de
Ansprechpartner beim Nationalpark Bayerischer Wald:
Prof. Dr. Jörg Müller
Sachgebietsleiter Forschung und Dokumentation
Freyunger Straße 2
94481 Grafenau
Telefon +49 8552 9600-179
joerg.mueller@npv-bw.bayern.de
Bildung und Forschung sind die Aufgaben der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (ANL) in Laufen. Die Akademie wurde 1976 eingerichtet und gehört zum Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz.
Videos
Die ANL stellt sich vor
Der Film beschreibt die vielfältigen Tätigkeiten der Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege.
Links
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